120 Jahre U76 U76 - Die Geschichte einer fahrenden Legende

Krefeld/Düsseldorf · Die K-Bahn, heute U76, feiert ihren 120. Geburtstag. Unser Autor blickt auf die Anfänge und Entwicklung einer als Sensation gefeierten Verbindung zurück.

Rheinbahnfahrer Mümün Bayir fährt seit sechs Jahren die Strecke.Das Foto ist an der Haltestelle Tonhalle entstanden.

Rheinbahnfahrer Mümün Bayir fährt seit sechs Jahren die Strecke.Das Foto ist an der Haltestelle Tonhalle entstanden.

Foto: Lepke, Sergej (SL)

Als am 15. Dezember 1898 die Kleinbahn zwischen Düsseldorf und Krefeld in Betrieb genommen wurde, feierte die Presse dieses Ereignis als Sensation: Zwischen den beiden Rhein-Städten verkehrte nun die erste elektrische Schnellbahn Europas. Auf einer Strecke von über 22 Kilometern mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h. Damit startete die Geschichte der K-Bahn, die am Samstag ihren 120. Geburtstag feiert. Heute befördert sie als U76 rund 20 000 Menschen täglich und ist aus Düsseldorf und Krefeld nicht mehr wegzudenken. Doch in der Geschichte der K-Bahn geht es um mehr als die Inbetriebnahme eines hochmodernen öffentlichen Verkehrsmittels. Mit ihr verbinden sich die Gründung der Rheinischen Bahngesellschaft, der Bau einer Rhein-Brücke und die Erschließung der linksrheinischen Ländereien per Schiene, also ein Stück rheinischer Industrie- und Wirtschaftsgeschichte.

Blicken wir zurück ins Düsseldorf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1875 verzeichnete die Stadt 80 000 Einwohner. Nur 25 Jahre später, im Jahr 1900, waren es bereits 213 000 Einwohner. Die Gründe: die Industrialisierung im Deutschen Reich, aber auch die wirtschaftliche Entwicklung im Rhein- und Ruhrgebiet. Düsseldorf spielte dabei eine besondere Rolle: Der Hafen und das bereits gut ausgebaute Eisenbahnnetz boten einen guten Zugang zum Markt. Das zog Industrie- und Gewerbetreibende in die Stadt. Doch Düsseldorf kämpfte mit einem strategischen Problem: Industrie, Gewerbe und Wohnungen bedurften des Platzes. Nicht einfach für Düsseldorf, denn es gab zwei Grenzen. Auf der einen Seite befand sich das Bergische Land, da ging es bergauf, und das war nicht ideal für eine infrastrukturelle Ausweitung. Im Westen lag der Rhein, auf der anderen Seite existierte Düsseldorf noch gar nicht.

Vier Industrielle verhalfen der K-Bahn zum Start

Doch es fanden sich vier Industrielle: August Bagel, Franz Haniel junior, Friedrich Vohwinkel, Heinrich Lueg. „Wenn die auf die linke Rheinseite schauten, sahen sie Getreide wachsen und Kühe grasen. Da war die Landgemeinde Heerdt mit den Stadtteilen Oberkassel, Niederkassel und Lörick, die wir heute als hippe Wohnviertel kennen. Darauf waren sie scharf“, erzählt Hans Männel, Vorsitzender des Vereins „Linie D“, der sich um die Geschichte und den Erhalt der historischen Straßenbahnen in der Düsseldorfer Region kümmert. Um an die begehrten Ländereien auf der anderen Rheinseite zu kommen, entschloss sich das Unternehmer-Quartett zu einem klugen Schachzug: Es gründete die Rheinische Bahngesellschaft. Das geschah am 25. März 1896. Die Hauptaufgabe des Verkehrsunternehmens bestand aber nicht darin, Personen von A nach B zu transportieren, sondern die linksrheinischen Ländereien zu erschließen. Dazu zählte der Plan, zwischen Düsseldorf und Krefeld eine elektrische Kleinbahn zu bauen und zu betreiben. Schon am 21. März 1896 stimmte die Krefelder Stadtverordnetenversammlung einem Vertrag für diese Kleinbahn-Strecke zu. Am 25. März 1896 schloss ihn Kommerzienrat Heinrich Lueg im Namen der Rheinischen Bahngesellschaft mit der Crefeld-Uerdinger Localbahn ab. Es war die Geburtsstunde der K-Bahn.

Die Geschichte der U76 zwischen Düsseldorf und Krefeld in Bildern
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100 Jahre U76 – Die Geschichte der Bahn zwischen Düsseldorf und Krefeld in Bildern

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Foto: Rheinbahn Archiv

„Sich leichtlich knüpfen werden Freundschaftsbande“

Die verkehrstechnische Erschließung ging zügig vonstatten. „Die Grundstücke auf der linken Rheinseite waren preiswert zu erhalten, gewannen durch diese Verkehrsinfrastruktur immens an Wert und wurden dann von der Rheinbahn an Industrielle, Gewerbetreibende und Wohnbauunternehmen verkauft – das war erfolgreich“, so Männel.

Anschließend errichtete man die Oberkasseler Brücke, die erste stehende Brücke für den öffentlichen Verkehr im Gebiet um Düsseldorf. Sie wurde am 12. November 1898 eröffnet und erleichterte den Zugang zu beiden Rheinufern enorm. Zuvor gab es in Düsseldorf nur eine bewegliche Brücke, die zur Seite geschwenkt werden musste, wenn die Schiffe ankamen.

Anlässlich der Eröffnung der neuen Rheinbrücke und der Kleinbahn fand am 18. November 1898 im Düsseldorfer Stadttheater ein Fest statt. Ein Landtagsabgeordner hatte dafür extra einen feierlichen Vorspruch verfasst, den die Schauspielerin Lina Lossen vortrug. Darin hieß es: „Krefeld, dich Stadt, da Weberschifflein schießen, / Zu wirken Samt und Seide, hin und her, / Die holden Frau’n und Mägdelein zu schmücken, / Dich kürt heute Düsseldorf zu seiner Schwester, / Mit der im trauten engen Nahverkehr / Sich leichtlich knüpfen werden Freundschaftsbande, / Die bald wird keins von beiden missen wollen.“

Bis 1906 fuhr die Bahn ohne Bezeichnung

Die von dem Gelegenheitsdichter gelobpreiste neue Städteverbindung stieß aber bei vielen Krefelder Bürgern auf Kritik. So schrieb ein Leser in der Krefelder Zeitung vom 6. Dezember 1898: „Spricht aus diesen Worten nicht etwas mehr als Selbstbewußtsein? Ist es nicht ein bißchen Selbstüberhebung, was uns daraus anweht, wenn Düsseldorf glaubt, seine Schwester und Nachbarin nach eigenem Ermessen wählen zu können?“ Hier kommen die bis heute gängigen Kabbeleien zwischen den Städten zum Tragen: Düsseldorf empfinde sich als größer und bedeutender als Krefeld, nenne sich wegen seines Hofgartens und der Kunstakademie überheblich „Künstlergartenstadt“, doch seien der Stadtgarten und die Wälle in Krefeld viel freundlicher, und wieso solle der Kunstsinn am Niederrhein weniger entwickelt sein?, schrieb der Leser seiner Zeitung. Insgesamt überwog jedoch in beiden Städten der Wunsch nach guter Nachbarschaft.

Bis 1906 fuhr die Kleinbahn – genauso wie die Städtische Straßenbahn, die für den rechtsrheinischen Verkehr bestimmt war – ohne Bezeichnung. Dann erhielten die Städtischen Straßenbahnen Nummern und die Fernlinien Buchstaben. „Da es sich bei Fernlinie nach Krefeld um das Paradestück der Rheinbahn handelte, wurde sie mit dem Buchstaben A versehen“, erläutert Hans Männel. Der Triebwagen zeigte das „A“ außen oberhalb des Führerstands: in Weiß auf Rot.

Im Jahr 1937, anlässlich der nationalsozialistischen Propaganda-Schau „Schaffendes Volk“ im Nordpark, benannte die Rheinbahn die Linie in „K“ um, nach dem Zielort Krefeld. In Rot auf weißem Untergrund. Der Besucherandrang, besonders von auswärtigen Gästen, war so groß, dass sich die Rheinbahn entschloss, Straßenbahnen und Sonderzüge, die zum Ausstellungsgelände fuhren, mit einem „A“ zu versehen, damit sich die Gäste bei der Anfahrt leichter orientieren konnten. In der Folge wurde der Name „K-Bahn“ zum Markenzeichen einer traditionsreichen und städteverbindenden Linie. Auch wenn inzwischen andere Linienbezeichnungen eingeführt worden sind. 1980, als der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr gegründet wurde und das Nahverkehrsnetz zwischen Dortmund und Düsseldorf neu nummeriert hat, wurde die K-Bahn in Linie 76 umgetauft. 1988, als der Düsseldorfer Innenstadttunnel eröffnet wurde, erhielt sie ihren bis heute gültigen Namen: U76.

Von Beginn an waren die Straßenbahn-Wagen in II. und III. Klasse eingeteilt, außen mit römischen Zahlen angegeben. Eine I. und IV. Klasse existierte im Gegensatz zur Staatsbahn nicht. Dennoch unterschieden sie sich. In der II. Klasse war ein Teppichboden ausgelegt, gepolsterte Sessel und ein Sofa standen um einen ovalen Tisch. Die III. Klasse war mit Holzbänken weniger nobler eingerichtet. Beide Abteile wurden mit amerikanischen Kohleöfen beheizt, bis auf elektrische Energie umgestellt wurde. Gepäckablagen waren in beiden Klassen oben seitlich angebracht. Die III. Klasse konnte für „Raucher“ oder „Nichtraucher“ eingeteilt werden.

Der Breidenbacher Hof versorgte die Gäste

Eines schließlich machte die K-Bahn zur weltweiten Pionierin: Sie war die allererste Straßenbahn mit Speisewagen. Ab 1924 eingesetzt, zeichneten sie sich vor allem durch die seitlichen Rundbogenfenster aus. In der Wagenmitte befand sich eine kleine Küche. Das kulinarische Angebot war für die kurze Strecke sehr umfangreich. Die Mahlzeiten reichten von Kraftbrühe mit Ei über Ölsardinen bis hin zur Bauernwurst mit Kartoffelsalat, die Getränke von Kaffee über Liköre bis hin zu Mosel-, Rhein-, Rot-, Schaum- und Südweinen. Der Breidenbacher Hof bewirtschaftete den Speisewagen: Luxus auf Schienen. Im Dezember 2014 endete die Ära des rollenden Bistros allerdings, weil sich keine Pächter mehr fanden. Auch wenn die K-Bahn damit nur noch ein „normales“ Verkehrsmittel ist: Mit ihr geht eine besondere Geschichte zweifelsohne weiter.