Interview zur Verkehrswende „Wir werden oft vergessen“

Interview | Düsseldorf · Der Behindertenrat kritisiert Teile der Verkehrswende in Düsseldorf. Ein Gespräch über E-Scooter, Rheinbahn und Fahrradwege.

Renate Hoop und Sabine Humpert-Kalb unterwegs an einer für sie heiklen Stelle, der Ecke Moorenstraße zur Witzelstraße, wo plötzlich ein schmaler Weg von Fußgängern und Radfahrern genutzt wird.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Die Verkehrswende geht mit vielen Veränderungen einher. Es sind mehr Fahrradfahrer unterwegs, für die mehr Fahrradwege gebaut werden. E-Scooter stehen zum Leihen bereit. Bus und Bahn sollen eine wichtigere Rolle spielen. Doch wie nehmen Menschen mit Behinderung und mobilitätseingeschränkte Menschen diesen Wandel wahr? Was bewerten sie kritisch, was positiv? Zu diesen Fragen haben wir Sabine Humpert-Kalb, Vorsitzende des Behindertenrates Düsseldorf, und Renate Hoop, Sprecherin des runden Tischs Verkehr, in einer Videokonferenz getroffen.

Wie viele mobilitätseingeschränkte Menschen gibt es in Düsseldorf?

Sabine Humpert-Kalb: Das ist schwer einzuschätzen. Offiziell gemeldet sind 65 000 Menschen mit einem Schwerbehindertenausweis. Aber es gibt eine große Dunkelziffer. Viele schrecken davor zurück, den Antrag zu stellen, Erwachsene etwa haben Angst vor beruflichen Nachteilen.

Renate Hoop: Wir schätzen, dass letztlich jeder vierte oder fünfte Düsseldorfer in seiner Mobilität eingeschränkt ist. Und durch die Alterspyramide wächst die Zahl.

Der Anteil ist also sehr groß.

Humpert-Kalb: Vielen Menschen mit Behinderung ist diese nicht anzusehen, sie nehmen den Stock oder Rollator aus Scham nicht. Auch ich wollte am Anfang nicht erkennbar sein und habe noch lange auf den Langstock verzichtet. Doch durch die Erkennbarkeit ist mein Leben einfacher geworden, da die Menschen mehr Rücksicht nehmen.

Hoop: Zumal es im Fall eines Unfalls Probleme mit der Haftung geben kann, wenn man als Mensch mit Behinderung nicht erkennbar gewesen ist.

Wie sind Sie in der Stadt unterwegs?

Hoop: Ich mache viel allein, mit Straßenbahn, Bus und zu Fuß mit dem Stock. Wenn ich eine Gegend noch nicht kenne, muss ich mich durchfragen oder es bringt mich jemand. Besondere Herausforderungen sind unbekannte Baustellen oder leere Plätze.

Humpert-Kalb: Bei mir ist das ähnlich. Ich nutze vor allem den ÖPNV. Ich komme gut klar, wenn ich mich gut auskenne, bin aber nicht so fit mit dem Langstock wie Frau Hoop. Wenn ich in andere Städte fahre, sollte eine Begleitperson dabei sein. Mit meinem Restsehvermögen kann ich meist die Anzeige an einer Bahn noch lesen.

Was ärgert Sie bei ihren täglichen Wegen durch die Stadt am meisten?

Hoop: Zugestellte Blindenleitsysteme an Ampeln und Wegen, mit Tischen von Gastronomieterrassen oder Auslagen von Geschäften, von Fahrrädern und E-Scootern oder Koffern von Reisenden. Außerdem ärgere ich mich besonders über rücksichtsloses Verhalten und Verkehrsteilnehmer, die sich nicht an die Regeln halten. Ich kann nicht sehen, ob da noch einer an der Bahn vorbeibrettert oder mir auf dem Fußgängerweg mit einem E-Scooter entgegenkommt. An einem Überweg hat mich neulich jemand gerade noch am T-Shirt festgehalten, weil ein Fahrradfahrer über eine rote Ampel gefahren ist, sonst hätte es einen Unfall gegeben. Mich ärgert dieses Verhalten so, weil es mich in meiner Mobilität erheblich behindert.

Humpert-Kalb: Da kann ich mich zu 100 Prozent anschließen. Aufgrund der höheren Geschwindigkeiten durch E-Bikes oder E-Scooter, fühle ich mich viel unsicherer. Die Leute können damit zum Teil nicht umgehen. Zudem ärgert mich, dass nur so wenig Haltestellen barrierefrei ausgebaut sind, gerade mal die Hälfte. Da sind andere Kommunen weiter. Alle Behinderte werden dadurch in ihrer Mobilität eingeschränkt. Doch auch sie müssen zur Schule, zum Studium, zur Arbeit, zum Sport.

Hoop: Auch die Behindertenparkplätze werden übrigens viel zu oft nicht komplett freigehalten.

Worauf muss aus Ihrer Sicht beim Ausbau der Fahrradwege vor allem geachtet werden?

Humpert-Kalb: Sie gehören auf die Straße. Auch wenn Autofahrer davon nicht begeistert wären, es käme viel seltener zu gefährlichen Situationen mit Fußgängern. Da sind wir mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club auch einer Meinung.

Auch die Stadt verfolgt ja das Ziel.

Hoop: Ich bin mir nicht so sicher, ob das wirklich so konsequent umgesetzt wird, da Autofahrern ja Fahrspuren und Parkplätze weggenommen werden müssen. Die Verteilung des Platzes ist auch bei der Stadt umstritten.

Humpert-Kalb: Wichtig ist uns zudem: Wenn ein Radweg gebaut wird, dann auch durchgängig. Es ist immer problematisch, wenn Radwege plötzlich enden. An der Ecke Witzelstraße und Moorenstraße zum Beispiel fahren Radfahrer einfach weiter, Fußgänger müssen sehen, wie sie zurechtkommen. Besonders gefährlich ist es, wenn Fahrradwege auf dem Bürgersteig an Ampeln entlang führen. Wenn ich dort auf Grün warte, kann ich nicht sehen, ob dann noch ein Fahrradfahrer kreuzt. Sehr heikel ist es auch, wenn die Radwege auf Bürgersteigen an Straßenbahnhaltestellen entlang führen. Zum Teil werden Fußwege auch sehr schmal, wenn daneben neue Fahrradwege entstanden sind.

Hat sich die Lage bei E-Scootern durch feste Stationen in der Innenstadt verbessert?

Humpert-Kalb: Es ist eine Katastrophe, wenn es nach mir ginge, würden wir die E-Scooter wie in Paris abschaffen, was rechtlich leider nicht geht. Ich stand den E-Scootern anfangs noch positiv gegenüber, aber es wird keine richtige Lösung gefunden. Zwar gibt es in der Innenstadt durch die Stationen Verbesserungen, aber was ist mit den Stadtteilen? Da stehen die Scooter kreuz und quer herum. Sie sind ein hohes Unfallrisiko, vor allem für blinde und sehbehinderte Menschen. Man trifft sie oft mit dem Langstock nicht und fällt dann darüber, wenn der Roller im Weg steht. Und trotz intensiver Gespräche mit den Anbietern, passiert auch da wenig. Zuletzt sind E-Scooter auf Blindenleitsystemen am Südpark abgestellt worden. An der Heine-Uni stehen sie auf dem schmalen Bürgersteig, sodass kein Rollstuhlfahrer mehr vorbeikommt.
Hoop: Zudem halten sich E-Scooterfahrer zu oft nicht an die Regeln. Sie fahren eher aus Spaß und tragen nicht wesentlich zu Klimafreundlichkeit bei.

Sie fordern also stärkere Kontrollen?

Hoop: Ja, die erlebe ich in den Stadtteilen viel zu selten. Das ist ja die Sache der Polizei. Offenbar liegt da aber die Konzentration bei Kontrollen sehr auf der Altstadt.

Welche Wünsche haben Sie für den Ausbau des ÖPNV?

Humpert-Kalb: Wir sprechen uns eindeutig für die Tunnellösung bei der U81 aus. Wir müssten dann an der Oberfläche nicht zusätzlich die Fahrbahn überqueren. Die Kaiserswerther Straße ist bis jetzt nicht barrierefrei, sodass dort die Bahn von vielen Menschen nicht genutzt werden kann. Der Ausbau von barrierefreien Haltestellen sollte insgesamt viel schneller gehen, zudem sollte immer die ganze Station barrierefrei werden. Wir weisen immer wieder darauf hin, dass es Ansagen auf Linien geben soll, die an manchen Haltestellen nicht barrierefrei sind. Denn sonst kommen behinderte Menschen zum Teil nicht mehr aus der Bahn heraus. Was auch fehlt, ist ein Blindenleitsystem auf dem Konrad-Adenauer-Platz.

Hoop: Auch auf der Rückseite des Bahnhofs fehlt ein solches auf dem Bertha-von-Suttner-Platz.

Werden die Belange von Mobilitätseingeschränkten bei der Verkehrswende ausreichend mitgedacht?

Humpert-Kalb: Wir werden oft vergessen. Und unsere Belange werden nicht genug berücksichtigt. Wir haben zum Beispiel immer kritisiert, dass das Licht der Gaslaternen nicht ausreicht, trotzdem sollten zuerst 10 000 von ihnen erhalten bleiben.

Hoop: Es herrscht ein hoher Handlungsdruck, um die Verkehrswende umzusetzen. Das verstehen wir, dennoch werden wir zu selten frühzeitig eingebunden. Das war jetzt zum Beispiel bei der Planung für den Carlsplatz-Umbau so. Die Behinderten-Parkplätze waren zuerst an der falschen Stelle, direkt am Kopfsteinpflaster. Das muss eigentlich jedem klar sein, dass das nicht geht. Wir mussten dann sehr massiv intervenieren, um die Pläne zu ändern. Wichtig ist, dass es weiterhin ausreichend Parkplätze für Behinderte gibt, was die Politik festgehalten hat. Parkhäuser oder Flächen vor einem Supermarkt sind für Behinderte oft nicht nutzbar, weil sie die Bedienung an der Schranke gar nicht erreichen können.