Einzelhandel Walter Saß und seine 500 Regenschirme
Düsseldorf · Das kleine Geschäft an der Birkenstraße hält sich vor allem mit Reparaturen über Wasser. Qualitäts-Regenschirme kaufen nämlich immer weniger Menschen.
Ob er denn selbst schon mal im Regen stand? „Oh ja, selbst ich lasse mich manchmal vom Regen überraschen“, sagt er. Dann ertrage er es, wie jeder andere auch, pudelnass zu werden. Die Vorstellung fällt schwer, denn Walter Saß nennt rund 500 Regenschirme sein Eigen. In seinem kleinen Laden an der Birkenstraße verkauft er sie – neue, selbstgebaute, bunte, schlichte, reparierte und restaurierte, im Taschenformat oder mit Stock.
Walter Saß ist Schirm-Experte. Nicht nur im Verkauf. Er ist einer von wenigen Fachmännern in Deutschland, die Regenschirme aller Art reparieren. In seiner Werkstatt hinter dem übersichtlichen Verkaufsraum lagert er die Schirme, die von ihm auf Vordermann gebracht werden. Oft sind es alte Schätzchen, von denen sich die Besitzer nicht trennen wollen.
Das sei auch gar nicht nötig, sagt Saß. Ein Schirm von guter Qualität halte, so der Fachmann, mindestens zehn, manchmal sogar 20 Jahre. Alle zwei bis drei Jahre müsse vielleicht eine Kleinigkeit repariert werden. Und selbst dann schlage der Qualitätsschirm die günstigen Varianten im Härtetest um Längen. Das demonstriert er nur allzu gerne: Mit einer ausholenden Bewegung schmeißt er den geöffneten Schirm nach vorne. Der wölbt sich nach außen und schnappt wieder zurück. „Einen anderen Schirm könnte man jetzt nur noch in die Tonne werfen“, sagt er mit Stolz in der Stimme.
Der Sommer 2018 war für das Geschäft eine Katastrophe
Das gute Stück hat Saß selbst zusammengebaut. Aus Einzelteilen, die er im Laufe der Jahre gesammelt hat. Manche fand er auf Trödelmärkten, andere kaufte er in hoher Stückzahl, als nach und nach Schirmfabriken dicht machten. 180 Euro kostet der Schirm mit Holzstock, Massivstahl und schwarzem Stoffbezug, eineinhalb Meter im Durchmesser. Eine aufwändige Tüftel-Arbeit, für die Saß aber besonders im vergangenen Sommer viel Zeit hatte. „Für mein Geschäft war der lange Sommer 2018 eine Katastrophe“, erklärt er nüchtern. Von April bis Ende September blieb es trocken. Einen Regenschirm benötigte wirklich niemand. Saß musste an seine Reserven gehen und nutzte die Zeit fürs Zusammenschrauben eigener Schirme, die er dieses Jahr wieder in seinen Laden hängen wird.
Als Jugendlicher wollte Walter Saß eigentlich Wirtschaftsinformatik studieren, doch die lange Wartezeit schreckte ihn damals ab. Er machte stattdessen eine Ausbildung zum Bürokaufmann und half seiner Mutter in ihrem Schirmgeschäft in Solingen. Dort wurden nicht nur Schirme verkauft, sondern auch für Hersteller und Fachgeschäfte repariert. Saß half in der Werkstatt und brachte rund 100 Schirme täglich wieder in Schuss.
Saß erkannte sein Geschick und übernahm 1991 die Schirmboutique an der Birkenstraße samt Werkstatt. Heutzutage sind es keine 100 Schirme mehr am Tag, aber immerhin je nach Saison noch rund 500 im Monat, die in seiner Werkstatt repariert werden. Geschickt vor allem von Fachgeschäften aus ganz Deutschland, deren Kunden nach Ablauf der Hersteller-Garantie Probleme mit ihren Schirmen beanstanden.
Ohne die Werkstatt könnte sich die Schirmboutique kaum halten. „Der Reparaturbetrieb hilft beim Überleben“, sagt er. „Es kommen nur die Leute in meinen Laden, die es leid sind, alle paar Wochen einen neuen Schirm zu kaufen.“ Und das sind laut Saß deutlich weniger als noch vor einigen Jahren. „Alle kaufen heute lieber billig“, meint Saß. Die Einstellung zu Nachhaltigkeit und Qualität sei eine andere. „Unsere Eltern oder Großeltern hatten maximal einen Stockschirm und einen Taschenschirm. Das Geld wurde bewusst investiert und es wurde darauf geachtet, die Schirme nicht zu verlieren. Heute zahlen die Leute drei, vier Euro für einen Plastikschirm und lassen ihn, wenn er so lange überlebt, an der nächsten Haltestelle liegen.“
Doch so sehr Walter Saß mit dem „Billig-Schrott“ auf Kriegsfuß steht, in seinem Laden finden sich auch Schirm-Exemplare für knapp acht Euro. „Das ist Billig-Schrott, ganz klar“, sagt Saß. „Aber auch ich muss ihn in petto haben, sollte jemand vor meiner Ladentür vom Regen überrascht werden.“ Ein Schirmgeschäft müsse schließlich dafür Sorge tragen, dass alle trocken bleiben. Auch diejenigen, die ahnen, dass sie ihren Schirm ohnehin an der nächsten Haltestelle liegen lassen.