Düsseldorf Wenn Politik auf Realität trifft: Ortstermin unter Flüchtlingen
FDP-Chef Lindner schaute sich in einer Zeltanlage um — ein Grenztermin zwischen Polit-PR und Realitätserkundung.
Düsseldorf. Es werden immer mehr. Erst war von 6000, dann von 7000 Flüchtlingen die Rede, die die Stadt bis Jahresende aufnehmen werde. Gestern sprach die städtische Flüchtlingsbeauftragte Miriam Koch erstmals davon, dass es auch 8000 Menschen werden könnten, die in Düsseldorf Zuflucht suchen. Entsprechend groß ist der Druck, weitere Unterkünfte zu finden. Welche es schon gibt (aktuell sind 4500 Flüchtlingen in der Stadt) und welche geplant sind, das zeigt die Grafik. Klar ist aber jetzt schon, dass das noch nicht reichen wird.
Ein Bild von der Lage vor Ort machte sich am Mittwoch der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner. Mit seiner Vize Marie-Agnes Strack-Zimmermann und dem Landtagsabgeordneten Joachim Stamp besuchte er die Zeltanlage an der Itterstraße in Holthausen — ein Grenztermin zwischen Polit-PR und Realitätserkundung.
Im großen Zelt, das als Aufenthaltsbereich dient, halten sich am Morgen nur wenige Flüchtlinge auf. Kein Wunder, außer Tischreihen und vielen Stühlen gibt es hier nicht viel. Dass sich gerade eine mehr oder weniger offizielle Delegation umschaut, fällt einigen Flüchtlingen sofort auf. Sie nutzen die Gunst der Stunde, ihre Anliegen vorzubringen. Es geht um Alltägliches, Koch verspricht, sich darum zu kümmern.
Thema des Tages
Flüchtlinge
Lindner schaut sich derweil ein Schlafquartier an. Ein selbstgemalter Zettel hängt an der Zeltwand. „Familie Veliu“ steht darauf. Die Abteile mit je vier Betten sind nur durch dünne Laken voneinander abgetrennt, diese geben Sichtschutz — mehr nicht. Geräusche lassen sie ungehindert durch, die Kälte auch. Koch weiß: „Nachts ist es schwierig, hier zu schlafen.“
Rund 300 Menschen leben zurzeit unter diesen Umständen, die meisten kommen vom Balkan. Es sind die Menschen, die aus Lindners Sicht nicht hier sein sollten. Um die angespannte Situation zu entlasten, sind für ihn drei Dinge vorrangig: Erstens müsse der Zustrom von Menschen vom Balkan gestoppt werden, die hier Asyl beantragen. „Für diese Menschen brauchen wir stattdessen eine geregelte Chance zur Einwanderung.“ Zweitens müsse man dielaufenden Asylanträge etwa von Syrern pauschal anerkennen, um die Dauer aller Verfahren endlich auf ein erträgliches Maß zu verkürzen. Drittens müsse man aussichtsreichen Asylbewerbern rasch Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen.
Thesen, die in der Politik nicht unumstritten sind, bei Miriam Koch — ehemals Oberbürgermeisterkandidatin der Grünen — aber weitgehend auf Zustimmung treffen. Sie konstatiert, dass die Stadt bei der Aufnahme neuer Flüchtlinge am Rande ihrer Kapazität ist. Sie sagt: „Ich hätte mir gewünscht, dass die Kanzlerin die Bundesländer an einen Tisch holt und über eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge entschieden wird. Ich verstehe nicht, warum immer noch fast alle Züge aus Bayern nur nach NRW kommen.“
Die Flüchtlinge an der Itterstraße werden so oder so bald ausziehen müssen: Die Zeltanlage ist nicht winterfest. Viele werden im Oktober in eine neu gebaute Unterkunft an der Moskauer Straße in Oberbilk wechseln. Dort entsteht gerade die erste Anlage in Modulbauweise. Sie ist solide gebaut, könnte jahrelang genutzt werden.
Als sich Koch, Lindner und Strack-Zimmermann auch dort noch umschauen, bekommen sie die andere Seite desselben Problems zu sehen: Zwei Obdachlose zeigen mit einer Bierdose in der Hand auf die Anlage, rufen: „Wir bekommen nichts — und die kriegen alles.“ Dass die meisten Flüchtlinge unverschuldet in Not gekommen sind, wollen sie nicht verstehen. Dass in Düsseldorf niemand obdachlos sein muss, auch nicht.