„Wir wollen sehen, was ein großes Theater kann“
Am Gründgens-Platz steht die nächste Premiere bevor: das Bowie-Musical „Lazarus“. Für den Intendanten ein wichtiges Zeichen.
Das Schauspielhaus stand am Abgrund. Wochenlang schien das Theater am Gründgens-Platz in die Baugrube zu stürzen. Seit wenigen Tagen ist ein Deckel auf dem riesigen Loch, die Sanierung der Fassade des Pfau-Baus ist seit kurzem im Gange. Für den Intendanten Wilfried Schulz ist das ein Augenblick des Aufatmens. Als „point of no return“ beschreibt er die Situation. Und kündigt für die kommende Spielzeit an, neben „Der Sandmann“ und dem Bowie-Musical „Lazarus“ (Premiere 3. Februar) das Große Haus mit vier weiteren Produktionen zu bespielen. Im Herbst 2019 will er auf der zurzeit größten Baustelle der Stadt keine Arbeiter mehr sehen.
Herr Schulz, am Gründgens-Platz läuft „Der Sandmann“ mit fast 40 ausverkauften Vorstellungen. Ein großer Erfolg in einer eigentlich geschlossenen Spielstätte.
Wilfried Schulz: Die Schauspieler wetten inzwischen, ob die Zuschauer nach zehn, 20 oder 30 Sekunden für die Standing Ovations aufstehen. Das ist toll. Und das Publikum mischt sich gut, ganze Schulklassen und viele junge Menschen strömen von der U-Bahn zum Theater.
Wie wichtig war es, dieses Stück im Großen Haus zu spielen?
Schulz: Es war ein wahnsinnig wichtiges Zeichen. Ein Zeichen unseres Selbstbewusstseins und der Identität des Theaters. Es gibt Schauspieler im Ensemble, die noch nie diese Bühne betreten haben, für die ich sie engagiert habe. Auch das Publikum, das wir ja für unsere Sanierungs-Spendenkampagne jetzt in Anspruch nehmen, kann spüren, wofür wir arbeiten. Es muss das Gefühl behalten: Ja, das ist es uns wert. Wir wollen sehen, was ein großes Theater kann.
Was entgegnen Sie denen, die meinen, das Central reiche als Schauspielhaus aus?
Schulz. Als Intendant kann man ganz kühl sagen: Ja, man kann wunderschöne Sachen in irgendwelchen Hallen machen, aber eine entwickelte Theaterarchitektur und -technik gehört auch zu den Voraussetzungen einer Theaterkunst auf der Höhe der Zeit. Und da ist der Wilson ein gutes Beispiel, weil er das Zusammenspiel von Licht, Ton, Musik und choreographierter Bewegung so braucht. Im „Sandmann“ kulminiert, was in einem Theater möglich ist. Und das Gefühl, wenn so etwas vor einer Gemeinschaft von 800 Zuschauern gelingt, ist toll.
Das Theater stand wochenlang am Abgrund, Proben sind wegen des Baulärms schwierig. Mit welchen Gefühlen betrachten Sie die Baustelle am Gründgens-Platz?
Schulz: Eine Dampframme ist Musik in meinen Ohren. Ich bin sehr froh über den Fortschritt der Arbeiten und jetzt ja auch an der Fassade des Hauses. Wir sind an einem „point of no return“, es gibt kein Zurück mehr. Das Geld ist bewilligt, die Pläne gibt es. Klar, jetzt muss es noch gemacht werden.
Am 3. Februar hat das Bowie-Musical „Lazurus“ Premiere am Gründgens-Platz. Und das braucht auch die große Bühne?
Schulz: Ganz klar. Das ist naturgemäß eine große Musikproduktion, es werden Videos zu sehen sein, weil Matthias Hartmann das aus einer David-Bowie-Ästhetik heraus entwickelt, das braucht die technischen Mittel.
Wie weit sind die Vorbereitungen?
Schulz: Es wird ein Abenteuer. Matthias Hartmann beginnt dort am 2. Januar, er kann ja nur abends probieren wegen des Baustellenlärms tagsüber. Ich wünsche mir bei „Lazarus“ ein großes Spektakel. Der Text ist die Vision eines Menschen, der wusste, dass er bald tot sein würde und viele künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten hatte, mit diesem nahenden Tod umzugehen. Das Altwerden spielt eine Rolle. Ich finde, dass „Lazarus“ eine anrührend lebensphilosophische Seite hat.
„Der Sandmann“ und „Lazarus“ bespielen dann das Große Haus.
Schulz: In der kommenden Spielzeit ab Herbst werden wir weitere vier Produktionen im Schauspielhaus machen. Das Kleine Haus wird aber noch nicht bespielt.
Dann ist ja die Wiedereröffnung in Sicht.
Schulz: Das Haus wird noch sehr „under construction“ sein, eingerüstet für die Arbeiten an Dach und Fassade. Aber das ist dann ein halber Spielplan im Großen Haus. Das große Privileg des Publikums: Es ist hautnah bei der Sanierung dabei. Wir können nichts im Geheimen machen. Und im Herbst 2019 will ich keinen Bauarbeiter mehr dort sehen.
Sind Sie versöhnt mit den schwierigen Umständen Ihres Starts in Düsseldorf?
Schulz: Ich kann es persönlich formulieren: Man macht Erfahrungen, die es normalerweise wohl nicht gegeben hätte. Wir wären nicht auf einen Stoff wie „Gilgamesch“ gekommen und darauf, ein Zelt in der Stadt aufzuschlagen. Das sind intellektuelle und kommunikative Herausforderungen, die toll sind, wenn sie aufgehen. Mit „Nathan (to go)“ haben wir jetzt Premiere in einer christlich-koptischen Kirche, die zweite Premiere in einer Synagoge und die dritte Premiere an einem Hochzeitsort für Muslime. Das ist schon besonders.
Es hat sich also gelohnt?
Schulz: Der Preis ist unglaublich hoch. Man kann sich nicht vorstellen, was das für eine physische und psychische Belastung für jeden Einzelnen, der im Theater arbeitet, bedeutet. Das Haus hat 350 Mitarbeiter. Der Verschleiß an Kraft und utopischem Denken ist sehr groß.
Das Publikum honoriert Ihren Einsatz großzügig.
Schulz: Die Düsseldorfer verhalten sich ganz wunderbar. Sie sind da, sind neugierig und engagieren sich. Kein Mensch hat sich beschwert, wenn es mal irgendwo durchgeregnet hat oder unbequem war. Ich habe an vielen Häusern gearbeitet und noch nie so wenig Beschwerden bekommen wie in Düsseldorf.