Kolumne: Woche 6 im Home-Office mit Kindern in Zeiten von Corona Irgendwas zwischen Halbzeit und Verlängerung

Düsseldorf · Home-Office mit Kindern in Zeiten des Coronavirus ist kein Selbstläufer. Das braucht einen ausgefeilten Plan.

 Ich wünschte, es wäre ein gestelltes Foto. Ist es aber nicht.

Ich wünschte, es wäre ein gestelltes Foto. Ist es aber nicht.

Foto: Ines Arnold

Wer sich mit 37 in ein fünfjähriges Kind mit leuchtenden Augen verwandeln will, kann sich den Besuch im Phantasialand getrost sparen. Er muss nur in einen Buchladen gehen. Ich war soeben da, nach Wochen der sozialen Isolation. Und ich muss zugeben: Ich bin ein bisschen durchgedreht. Ich habe – und ich bin wirklich nicht stolz darauf – an so einigen Büchern, Regalen und Accessoires meine Fingerabdrücke hinterlassen. Sogar die Lesezeichen, Mini-Schneekugeln und Schlüsselanhänger (wer kauft eigentlich Mini-Schneekugeln und zu welcher Gelegenheit?) habe ich gestreift. Und ich musste mich zusammenreißen, nicht an den Buchseiten zu schnüffeln.

Die Öffnung der Geschäfte, die Corona-Lockerungen, lösen in mir ganz neue Gefühle aus. Klar, ich habe auch vorher meine Oster- und Geburtstagsgeschenke im Buchladen bestellt und dann einfach abgeholt. Jetzt aber – ganz legal – in diesem Geschäft zu stehen, mit der Inhaberin zu quatschen, sich umschauen und die Regale nach einem Geschenk live durchstöbern zu können, ist etwas ganz anderes. Und ich realisiere erst jetzt, wie sehr ich es vermisst habe.

Woche sechs fühlt sich an wie Halbzeit. Nicht wie die Fußball-Halbzeit. Davon verstehe ich nichts. Eher wie der Zwischenstopp auf der Fahrt in den Familienurlaub. Wie der Morgen nach der Übernachtung im Hotel, irgendwo in Süddeutschland, wenn auf dem Navi nur noch 300 statt der 600 Kilometer nach Österreich stehen. Voller Vorfreude, weil man sich denkt, dass das Gequengel der Kindern nun viel leichter zu ertragen sein wird. Weil man ja eh fast da ist. Den Gedanken verdrängend, dass sich die letzten Kilometer ziehen werden wie Kaugummi.

 WZ-Redakteurin Ines Arnold.

WZ-Redakteurin Ines Arnold.

Foto: Melanie Zanin/M.ZANIN

Ich denke sogar immer häufiger daran, nun wirklich wieder mit Sport anzufangen. Der Gedanke, bald wieder leibhaftig in der Redaktion oder bei Terminen echten Menschen gegenüber zu stehen, treibt mich an. Und die sollen schließlich nichts von der gescheiterten Selbstoptimierung mitbekommen. Selbstoptimierung, auch so ein Wort, das ich vor Corona nie benutzt hätte. Fast so schrecklich wie Entschleunigung. Von allen Seiten wird uns suggeriert, wir müssten die Zeit sinnvoll nutzen. Sprachkurse, Steuererklärung, Liegestütze oder Yoga machen, ein Kräuterbeet anlegen, die Wände streichen und Gitarre spielen lernen. Als wäre Corona ein Bildungsurlaub. Für den habe ich definitiv die Bewerbungsfrist verpasst.

Jetzt in der gefühlten zweiten Halbzeit muss ich mich also ran halten. 20 Minuten stand ich gestern im Badezimmer, um zumindest die Wuchsrichtung meiner Augenbrauen zu optimieren. Und schon fühle ich mich deutlich besser. Was wird das ein tolles Gefühl sein, meinen Interviewpartnern wieder gegenüberzustehen anstatt sie von zu Hause, im stillen Kämmerlein vermeintlich sicher vor Zwischenrufen der Kinder, am Telefon zu befragen.

Und da wären wir beim Stichwort Kaugummi. Für meine Kindergartenkinder wird es nämlich erst mal keine Änderungen geben. Sie bleiben zu Hause. Und das bedeutet für mich, dass bis zur Rückkehr in den beruflichen Alltag meine Augenbrauen nachgewachsen sein werden und ich den aus dem Badezimmer dringenden, penetranten und unnachgiebigen „Feeeeertig“-Rufen meiner Kinder während eines Telefoninterviews noch einige Male standhalten werden muss.

Heute Morgen im Buchladen – da habe ich das allerdings einmal erfolgreich verdrängt. Ich stand da mit meinen getrimmten Augenbrauen und den lackierten Fingernägeln. Mit meinen guten Absichten, mir mittags einen Salat zu machen, am Abend eine Runde laufen zu gehen. Vor den nach Alltag riechenden Büchern. Den Gedanken verdrängend, dass die letzten Kilometer bis zum Ziel immer die nervigsten sind.