Kolumne: Woche 5 im Home-Office mit Kindern in Zeiten von Corona Von körperlichem Abstand und sozialer Nähe

Düsseldorf · Home-Office mit Kindern in Zeiten des Coronavirus ist kein Selbstläufer. Das braucht einen ausgefeilten Plan.

Das ist Freundin Mara beim Anschauen des gebastelten „Nach-Corona-Fotoalbums“.

Foto: arn

Neulich nachts fuhr in unserer Wohnsiedlung ein Krankenwagen vor. Der Nachbar aus dem Haus gegenüber war zusammengebrochen, weil er offenbar tagelang zu wenig getrunken und kaum gegessen hatte. Und das obwohl seine Schränke voll sein müssten – wie sich in Gesprächen über den Vorfall herausstellte, kaufe nicht nur ich regelmäßig für ihn ein, die halbe Nachbarschaft übernimmt das. Aber selbst diese Fürsorge kann die wohl so bitter nötige Umarmung nicht ersetzen.

Ich bin nicht die Einzige, die den verbreiteten Ausdruck „social distancing“ von Anfang an als unangebracht empfand. Was wir hier machen, ist physische Distanzierung. Sozial rücken wir enger zusammen als je zuvor. Nie war das Interesse an Menschen, die im Vor-Corona-Alltag nur Nebenrollen spielten, so groß wie jetzt. In Wohnsiedlungen finden sich Kreidezeichnungen mit Genesungswünschen für Fremde, an Laternen kleben Zettel von noch nie gesehenen Nachbarn, die ihre Hilfe anbieten, auf Bänken liegen ausrangierte Spielsachen für sich langweilende Kinder und in den Fenstern hängen Regenbögen als Mutmacher für Vorbeifahrende. Das aktive Kümmern hat es plötzlich auf die innere To-do-Liste geschafft. Jetzt, wo wir nicht mehr im Elternbeirat über die angemessene Anzahl von Festen im Quartal diskutieren, Babypartys organisieren oder Kerzen bei Ikea shoppen.

Das System ist komplett neu geordnet. Früher dachten wir, die Wochenenden mit den Kindern seien anstrengend, wenn wir sie nicht durchplanen, uns verabreden. Wir dachten, wir müssten frei nehmen, wenn der Kindergarten zu hat, weil wir sicher nicht eine Email formuliert bekommen. Jetzt arbeiten wir von zu Hause, sind 24 Stunden mit unseren Kindern zusammen. Wir dachten, wir müssten unsere Kinder dauerbespaßen. Heute wissen wir, dass sie aus der Langeweile heraus am kreativsten spielen, Streit auch gut alleine regeln. Jetzt, wo wir eigentlich noch weniger Zeit haben müssten, nehmen wir sie uns, um uns um andere zu sorgen. Und stellen fest, dass manche Menschen noch einsamer sind, als wir es ohnehin schon befürchtet haben.

WZ-Redakteurin Ines Arnold.

Foto: Melanie Zanin/M.ZANIN

Ich bin erleichtert, dass die Großeltern meiner Kinder mit dem körperlichen Abstand bis jetzt ganz gut umgehen können. Sie suchen die Nähe und gehen kreativ dabei vor, den Abstand zu wahren – da sind Videokonferenzen ja schon fast ein alter Hut. An den Feiertagen machten sie ihren Osterspaziergang kurzerhand mit den Auto und klapperten alle Wohnungen ab, in denen ihre Enkel auf den Hasen warteten, versteckten Eier und kleine Geschenke in den Vorgärten, um sich dann aus sicherer Entfernung an den Aufschreien der Kinder zu erfreuen.

Meine beiden sechsjährigen Töchter haben die Regeln des physical distancing schon verinnerlicht und werden richtig fuchsig, falls ein Erwachsener, der es, Zitat, „doch als alter Mensch besser wissen müsste“ die Pferdelänge Abstand unterschreitet. Bei Oma und dem herzkranken Opa nehmen die Kinder sogar lieber vier, fünf Pferde als Distanz-Maßeinheit – wie umsichtig vom Osterhasen, dass er ihnen dieses Jahr ein Fernglas da gelassen hat.

Schwer fällt es den Kindern aber, wenn sie auf andere Kinder treffen. Der nahegelegenen Parkplatz, auf dem sie abends ihre Runden mit dem Fahrrad drehen, ist leider längst kein Geheimtipp mehr. Die Disziplin, dem ebenfalls dort Runden drehenden Jungen aus der Distanz zuzuwinken, war ohne meine Kontrolle schnell vergessen. Mit jeder Laufrunde, die ich drehte, kamen sich die Kinder näher und zack hielt die sonst Abstand predigende Tochter Händchen mit Skaterboy Clemens. Eine wirklich befremdliche Situation, spielende Kinder voneinander fern halten zu müssen. Der Zweijährige versteht es natürlich überhaupt nicht.

Wird meinen Kindern die soziale Versuchung aber nicht gerade vor die Nase gesetzt, schlagen sie sich sehr gut. Fragen nach Freunden, Sport- oder Kindergartenkameraden kommen äußerst selten. Sie sind mit ihren Geschwistern total bedient. Da empfinden die Kinder es fast als Verantwortung und weniger als Bedürfnis, ihre Freundin Mara anzurufen, die ohne Geschwister gerade sehr unter der kindergartenfreien Zeit leidet. Zuletzt gab es dicke Tränen am Telefon. Meine Tochter versuchte sich eine Zeit lang als Domian und beschloss dann, ihrer Freundin ein „Nach-Corona-Album“ zu basteln. Mit Fotos aus den vergangenen Jahren, von gemeinsamen Ausflügen, Karnevals- und Geburtstagsfeiern. „Wenn Corona vorbei ist, dann sind wir endlich wieder zusammen“ sollte ich für sie auf die letzte Seite schreiben. Meine Tochter war mächtig stolz, ich nicht weniger. Dieses Werk einer Sechsjährigen ist der beste Beweis für ehrliche soziale Nähe. Und die Umarmung gibt es dann einfach später. Auch für den Nachbarn.