Online-Theater „Die Chemiker“ machen Jules Verne alle Ehre (mit Video)

Düsseldorf · Online-Kultur Die Hobby-Theatergruppe mit studentischem Ursprung wagt sich an „In 80 Tagen um die Welt“ und schafft in Quarantäne eine originelle und sehenswerte Theater-Adaption auf dem YouTube-Kanal.

Unser Foto zeigt Andrea Freitag in der Rolle des Mr. Fix während der Aufnahme des Stücks „In 80 Tagen um die Welt“ nach Jules Verne.

Foto: Freitag

Theater bleiben weiterhin geschlossen. Ein Ende der Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Corona-Virus ist noch nicht abzusehen. Was für alle städtisch finanzierten Bühnen gilt, trifft auch die freie Szene. Und die Amateure, wie die Theatergruppe „Die Chemiker“, die sich 2012 an der Heinrich-Heine-Universität zusammenschloss. Sie hat seitdem zehn Theaterstücke herausgebracht, darunter Goethes „Faust“ und Dürrenmatts „Physiker“. Die damaligen Studenten, die heute zum Beispiel als Sozialwissenschaftler arbeiten oder noch an ihrer Doktorarbeit sitzen, legen jedoch in diesen Tagen nicht die Hände in den Schoß, sondern reisen virtuell „In 80 Tagen um die Welt“. Die originelle, spontan wirkende und gewitzte Theater-Adaptation des weltberühmten Jules-Verne-Romans von 1872 feierte ihre Premiere Samstagabend - auf dem Youtube-Kanal. Produziert innerhalb einer Woche, vorschriftsgemäß in Quarantäne – in ‚Home-Offices‘ der besonderen Art: vor neun Computer-Bildschirmen in neun Wohn- oder Arbeitszimmern der neun Mitwirkenden.

Zu den zwei Männern und sieben Frauen gehören auch Andrea Freitag und Nina Lange. Letztere gründete vor acht Jahren die Studenten-Theatergruppe, tritt als Darstellerin auf und führt Regie. Lange – studierte Medien-Kultur-Analytikerin, ausgebildete Sprecherzieherin und Werbetexterin - tritt hier als Erzählerin auf und führt Zuschauer und Hauptfigur Phileas Fogg (Andreas Hanning) und Jean Passepartout (Juliane Sattler) von Europa über Asien nach Amerika, sozusagen von einem Kontinent zum anderen. In knapp zwei Stunden durchqueren sie, vom heimischen Bildschirm aus, die Welt.

Genauer gesagt: auf einem ‚Split-Screen‘ – aufgeteilt in neun Mini-Bildschirme, auf denen die neun Darsteller mit ihren Kollegen und dem virtuellen Publikum kommunizieren. Geführt von Erzählerin Nina Lange, die vom Zentrum des ‚Split-Screens‘ aus Stichworte gibt und mit unsichtbarer Hand Regie führt. Mit Gesten und Blicken agieren sie und die „Chemiker“-Darsteller. Und mit wenigen, aber effektvoll genutzten Requisiten. So deuten sie mit einer Topfpflanze den afrikanischen Dschungel an. Oder mit dem Bild eines Elefanten als Aufdruck auf einem Schal. Das Zirkuszelt malen sie auf ein Blatt Papier oder nutzen ein Bison-Stofftier, um die amerikanische Wildnis lebendig zu machen.

Das Original wurde von 300
auf 67 Seiten „verdichtet“

Wie haben „Die Chemiker“, die im Februar Molières „Tartuffe“ im Theatermuseum herausbrachten, es geschafft, ein solches Projekt in so kurzer Zeit online zu produzieren? Sie hatten zwar schon lange vor, erzählt Andrea Freitag, den Jules-Verne-Roman mit ihrer Gruppe in Szene zu setzen. Für ein Ensemble aus Amateuren mit einem Kleinst-Budget sei wegen der aufwendigen Requisiten so etwas nur schwer zu stemmen. So machten sie aus der Not eine Tugend. Und dachten sich: Gerade jetzt, unter den ‚Corona‘-Bedingungen, machen wir es. Lange und Freitag schrieben eine Spielfassung, verdichteten das Original von 300 auf 67 Seiten. Zu Proben, die im Normalfall sechs Monate dauern (alle Laien-Schauspieler sind ja in Berufen tätig), durften sie nicht zusammenkommen. Daher trafen sie sich zu Lese-Proben in einer Schaltkonferenz. In einem Sechs-Stunden-Marathon (inklusive Mittagspause von 30 Minuten) studierten sie die Textpassagen, Einsätze und Benutzung der Requisiten ein. Klar, dass alle ihre Rollen (fünf Darsteller schlüpfen in 45 Rollen) nach acht Tagen nicht auswendig können, sondern von einem Teleprompter-Bildschirm ablesen. Kein Wunder, dass auch technische Probleme auftauchten, sagt Freitag. Sie berichtet von teilweise instabiler Internetverbindung, dem zeitlichen Versatz in der Übertragung und der Schwierigkeit, den versetzten Ton und die Bildschirmanordnung in Zoom aufrechtzuerhalten.

Stück wirkt durch den frischen und unverblümten Ansatz

Erstaunlich, dass Zuschauer all‘ das nicht immer bemerken. Das Video überzeugt eher durch den frischen, unverblümten Ansatz, kommt nicht unbeholfen über den Bildschirm, sondern lebt von Spontaneität und zupackenden Improvisationen.

Natürlich wollen und können „Die Chemiker“ nicht mit Profis konkurrieren. „Wir sind nicht das Schauspielhaus“, schmunzelt Andrea Freitag im Telefonat mit der WZ.