Gast-Kommentar Stadtgesellschaft braucht Strategie gegen Antisemitismus

Düsseldorf · Es ist eine entschiedene Reaktion auf die alarmierende Entwicklung nötig.

Blick auf den Hinterkopf eines Kippaträgers.

Foto: dpa/Boris Roessler

Die Alarmzeichen sind unverkennbar: Seit vielen Jahren schon kursieren Hassmails gegen Juden und deren Einrichtungen im Internet aber ihre Frequenz hat in den vergangenen drei bis vier Jahren stark zugenommen. Mit Bezug zu Düsseldorf. Im Sommer 2017 berichten jüdische Schüler in der Landeshauptstadt von Aggressionen und Mobbing gegen sie. Sie machen in den Schulen fast ausschließlich junge Muslime als Verursacher aus. Eine Beratungsstelle für die Opfer, SABRA, wird bei der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf eingerichtet, die jetzt eine erschreckende Bilanz zieht (siehe Seite 15).

Im Zusammenhang mit der Entscheidung des US-Präsidenten, die amerikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, werden israelische Fahnen angezündet. In Berlin, aber auch auf dem Bertha-von Suttner-Platz am Hauptbahnhof. Dann wird im Sommer 2018 ein Jugendlicher, der eine Kippa trägt, von einer Gruppe von Jugendlichen in der Düsseldorfer Altstadt angegriffen; die Mitglieder der Gruppe waren dem Vernehmen nach südländische Typen. Und: Das Netz wird noch stärker Sammelbecken für einen neuen Antisemitismus, aber nicht nur von moslemischen Gruppen, sondern auch von deutschen Gruppierungen - sowohl von rechts als auch von links.

Im Dezember 2017 reagiert der Düsseldorfer Stadtrat. Er bekennt sich in einer Resolution zum Existenzrecht Israels und zum Schutz der Juden in der Stadt. In zahlreichen Kirchen ist das im Rahmen der Fürbitten plötzlich auch ein Thema. Demonstrativ versammeln sich viele Düsseldorfer auf dem Grabbeplatz, um das jüdische Lichterfest — Chanukka — gemeinsam mit den hier lebenden Juden zu feiern. In seinem Jahresrückblick zeigt sich Oberbürgermeister Thomas Geisel einmal mehr „empört“ und „betroffen“ und versichert, jüdische Mitbürger seien Teil der Stadt und könnten ihre Feste auch öffentlich feiern. Im November 2018 reagiert die Stadt erneut; sie stellt dauerhaft zusätzliche Mittel für die Antidiskriminierungsstelle SABRA zur Verfügung, damit der Kampf gegen Antisemitismus effektiver betrieben werden kann.

Gerade hat die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie zum Antisemitismus vorgelegt. Wenn ich da lese, dass 26 Prozent der Befragten angegeben haben, dass Juden aus ihrer Vergangenheit auch heute noch Kapital zu schlagen versuchten, dann bin ich alarmiert und werde nachdenklich.

Es ist gut, wenn sich ein Oberbürgermeister empört. Es ist gut, wenn der Stadtrat Klartext redet. Es ist auch gut, wenn das Thema Antisemitismus in Kirchen aufgerufen wird. Mit solchen singulären Zeichen werden wir aber kein Umdenken erreichen. Die Stadtgesellschaft ist zu einer Strategie aufgerufen. Mit ihren Schulen und Bildungseinrichtungen, mit ihren Wohlfahrtsverbänden, auch mit ihren Vereinen. Dazu zähle ich auch die Düsseldorfer Jonges. Wir haben schon im Dritten Reich jüdische Mitglieder gehabt, und jetzt glücklicherweise wieder welche. Mit ihnen und ihrer Gemeinde werden wir darüber nachdenken, was wir konkret für ein gutes und friedliches Zusammenleben aller Religionsgruppen tun können und wie wir Antisemitismus von der legalen Kritik an der Politik Israels trennen können.

In der Karnevalshochburg Düsseldorf ist sicherlich auch der geplante gemeinsame interreligiöse Wagen mit Katholiken, Protestanten, Juden und Muslimen im Rosenmontagszug ein probates Mittel, um der Stadtgesellschaft die Notwendigkeit des friedlichen Zusammenlebens und von Toleranz aufzuzeigen. Gerade das diesjährige Karnevalsmotto „Gemeinsam Jeck“ ist hierfür auch ein starkes Zeichen! Zur Finanzierung dieser gemeinsamen, wichtigen Aktion von katholischer und evangelischer Kirche, der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf sowie des Kreises der Düsseldorfer Muslime wurde ein „Crowdfunding“ ins Leben gerufen, an dem man sich gerne beteiligen kann.

Für mich ist es unfassbar, dass im 21. Jahrhundert in Deutschland, nach unserer unheilvollen Geschichte im letzten Jahrhundert, wieder auf den Straßen Rufe zu hören sind „Juden raus“ oder „Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“ Und ein Düsseldorfer Hausbesitzer einer jüdischen Mitbürgerin mitteilt „an Juden vermieten wir nicht“.

Haben die Menschen aus der Geschichte nichts gelernt? So fing es in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts an.

Wehret den Anfängen und stellt Euch diesen antisemitischen Minderheitengruppen entgegen!