Meinung Antisemitismus — immer da, aber jetzt wieder sichtbar

Berlin, Bonn, mutmaßlich auch Düsseldorf: Die antisemitischen Attacken auf Kippaträger häufen sich hierzulande. Als Täter werden muslimische Migranten ermittelt oder vermutet. Schon ist vielfach vom „eingewanderten Antisemitismus“ die Rede.

Foto: Sergej Lepke

Das klingt so, als ob die Muslime den Judenhass nach Deutschland eingeschleppt hätten, als ob es den Antisemitismus vor 2015 nicht gegeben hätte. Aber das ist grober Unfug. Hetze gegen Juden hat es in der Bundesrepublik immer gegeben. Richtig ist, dass sich dieses Problem durch muslimische Asylbewerber noch verschärft, wenn sie im Geiste des Antisemitismus erzogen wurden. Aber die Migranten haben den Hass nicht mitgebracht, er war schon da. Antisemitische Straftaten haben in Deutschland ganz überwiegend einen rechtsextremen Hintergrund und werden von Deutschen begangen.

Neu ist, dass der Hetze mit dem Internet eine Plattform zur Verfügung steht, um sich auf dramatische Weise auszubreiten. Was die Studie der TU Berlin zutage fördert, ist beängstigend. Nicht nur bei Twitter und Facebook, sondern auch in Recherche- und Ratgeberportalen, in Fan-Foren und Youtube-Videos und auch in den Kommentarbereichen von seriösen Medienhäusern — überall findet sich judenfeindliches Gedankengut. Wenn das Internet als Maßstab dient, dann ist der Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und das ist nicht akzeptabel.

„Gegen Antisemitismus hilft nur Bildung und Aufklärung“, sagt Bastian Fleermann, Leiter der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte. Wie wahr. Fleermann verweist aber auch darauf, dass dieser Prozess leider viel Arbeit, Zeit und Mühe kostet. Und selbst dann misslingt er oft noch. Denn der Antisemitismus ist meist irrational. Es geht eben nicht um konkretes Handeln, nicht darum, was Juden tun oder nicht tun. Es geht nicht um die Politik des Staates Israel, nicht um Siedlungspolitik, Zweistaatenlösung und den Frieden mit den Palästinensern. Wäre es so, könnte man sich intellektuell mit den Antisemiten auseinandersetzen und sie vielleicht davon überzeugen, wie inhuman ihre Haltung ist. Weil das aber nicht so ist, muss der Hass auf die Juden anders bekämpft werden. Mit den Mitteln des Rechtsstaats. Wer Hass postet und Hetze das Wort redet, darf nicht ohne Strafe bleiben. Wenn Juden es vermeiden, ihre Kippa öffentlich in Deutschland zu tragen, sind wir alle in der Pflicht, dagegenzuhalten.