Vergangenheit Zeitreise ins Düsseldorf 2008
Düsseldorf · Mit Google-Streetview geht’s durch eine Stadt, die mit dem Tausendfüßler und dem Stern-Verlag anders aussah
Eine Zeitmaschine hätte sicherlich jeder mal gerne. Einmal durch die Jahre reisen und schauen, wie es zu anderer Zeit so war oder sein wird. Der Film „Zurück in die Zukunft“ hat mit diesen Reisen gespielt, aber auch gezeigt, dass man vorsichtig sein muss, wenn man in die Vergangenheit reist, weil man dort nichts verändern darf. Verändert man doch etwas, kann das gravierende Auswirkungen aufs Jetzt haben. Das reicht bis hin zur Gefahr, dass man selbst gar nicht geboren wird.
Natürlich gibt es solch eine Zeitmaschine nicht, aber leicht abgespeckte Versionen existieren trotzdem. Ich meine damit nicht die respektablen „Düsseldorf gestern“-Bildbände, in denen eifrige Historiker vergilbte Fotos gesammelt haben, um zu zeigen, wo es früher lang ging. Ich bin da moderner und vielleicht auch ein bisschen anspruchsloser. Mir reicht es in diesen Zeiten, wenn ich zwölf Jahre zurück reisen kann. Mein Computer macht es möglich.
Dort orientiere ich mich gern bei Herrn Google, der mir zeigt, wie meine Stadt von oben aussieht. Natürlich sind die Satellitenbilder dort nicht von heute oder gestern, sondern eher von vorvorgestern. Man sieht, wie Düsseldorf vor einem halben oder einem Jahr aussah. Da fällt der Abgleich leicht, weil manches schon die Kontur hatte, mit der es sich heute präsentiert. Aber das reicht mir nicht. Ich will weiter zurück. Ganze zwölf Jahre. Wir schreiben das Jahr 2008. Es ist Sommer, die Menschen spazieren luftig bekleidet durch die Straßen. Die Sonne scheint, die Schatten sind große, und die Autos wirken mehrheitlich ein wenig altmodisch. Google-Streetview heißt der Dienst, der seinerzeit für heftige Skandale sorgte, weil der amerikanische Konzern Kameraautos durch alle bedeutenden Städte fahren ließ, die im Rundumverfahren alles ablichteten, was sich gerade in dem Moment ihres Passierens befand oder abspielte.
Was gab das für einen Skandal damals. Man konnte sich beschweren, dann machte Google das eigene Haus unkenntlich. Es gab Menschen, die ließen sich in der Zeitung vor ihrem Haus abbilden, um dagegen zu protestieren, dass ihr Haus im Netz zu sehen war, obwohl das Zeitungsbild auch im Netz abrufbar war. Aus heutiger Sicht wirkt das wie eine verkehrte Welt, wie eine leicht naive Version des Düsseldorf von heute.
Wenn mir nach gestern ist, begebe ich mich regelmäßig auf Zeitreise, tauche ein in den Sommer 2008. Ich bin allerdings nicht direkt eingetaucht in den Sommer 2008, weil ich erst gar nicht wusste, aus welchem Jahr die Bilder stammten. Natürlich hätte ich das leicht nachschlagen können, aber das wäre mir zu billig gewesen. Mein Forscherdrang war geweckt. Ich kurvte mit der Maus in der Hand durch mein Düsseldorf von gestern.
Auf der Kaiserstraße begegnete mir eine rote 706 auf dem Weg nach Bilk. „Am Steinberg“ stand vorne als Ziel ausgedruckt. Der Ergo-Anbau, der heute den Golzheimer Friedhof vom Verkehrslärm abschirmt, ist bei Streetview noch eine Baugrube, und der östliche Teile des Wehrhahns präsentiert sich komplett baustellenfrei. Von der Wehrhahn-Brücke geht der Blick nach Norden auf den alten Derendorfer Güterbahnhof, wo noch Brache ist und nicht die vielen gesichtslosen Betonklötze stehen, die heutzutage das Viertel so unansehnlich machen.
Ein Bauzaun an der Kölner Straße macht mir dann deutlich, in welchem Jahr ich mich befinde. Dort prangen Plakate für Konzerte von Westernhagen und für Madonnas Auftritt in der damals noch LTU-Arena genannten Stadionschüssel. LTU, das war doch... Ach ja, das war mal eine Fluglinie in der Zeit, als Flugzeuge noch mehrheitlich flogen und nicht auf Landebahnen parken mussten.
An der Erkrather Straße steht noch das alte Gebäude der Paketpost, und immer wieder geht die Reise vorbei an „Schlecker“-Shops. Überall „Schlecker“-Geschäfte. Ein bisschen wirkt es, als sei Düsseldorf damals einig „Schlecker“-Land gewesen. Auch die Läden von „Strauss“ existieren auf meiner Reisestrecke noch. Zwar läuft in der Filiale am Oberbilker Markt schon der „Alles muss raus“-Ausverkauf, aber man kann noch rein ins Kaufvergnügen. Einen Steinwurf weiter befindet sich das Gerichtsgebäude, in dem inzwischen so manch kriminelles Schicksal verhandelt wird, noch im Bau. Dabei wirkt das inzwischen doch wie eine Trutzburg, die dort schon immer stand.
An der Suitbertusstraße sind noch die Reste von Auto-Becker zu bestaunen. Auch der riesige Schornstein, der schon von weitem vom einstigen Fahrzeug-Imperium kündete, das auf meiner Tour de Google sichtlich schon in Abwicklung begriffen ist, steht noch. Allerdings ist wohl beim digitalen Zusammensetzen der Bilder ein kleiner Datenunfall passiert, denn ungefähr in der Mitte hat der Kamin einen kleinen Versatz, was irgendwie ulkig aussieht.
Auch auf der Friedrichstraße fahren noch Straßenbahnen, und der Verkehr läuft trotzdem flüssiger als heutzutage, da die Bahnen in den Untergrund verbannt sind. Zumindest wirkt das an diesem Fototag so, der sehr offensichtlich ein Werktag ist, weil der „Stern Verlag“ draußen Bücherkisten stehen hat. Ja, der „Stern Verlag“. Da kommt Wehmut auf. Was war das für eine tolle Buchadresse. Wie wunderbar konnte man dort durch die Etagen wandeln, schmökern, gucken, Kaffee trinken. Wie oft habe ich dort eine Stöber-Pause eingelegt auf meinem Fußweg von Bilk in die Stadt. Vergleicht man die Friedrichstraße von damals mit der von heute, dann war das einst eine echt tolle Adresse. Es war attraktiv, dort zu shoppen. Heutzutage sehe ich eher zu, dass ich da rasch durch bin.
Die wahre Attraktion von 2008 ist natürlich der Tausendfüßler. Ja, der steht noch. Ich fahre ordnungsgemäß von Norden hoch und fühle mich gleich erhaben. Links liegt noch unberührt von allerlei Ingenhoven-Tälern der Gustaf-Gründgens-Platz, rechts der noch nicht von irgendeinem Kö-Bogen überwucherte Jan-Wellem-Platz. Schön sind beide Plätze nicht, aber vertraut wirken sie, und sie geben der Stadt etwas Luftiges, wo man sich heute oft ein bisschen eingesperrt fühlt.
Wie fern diese Tage im Jahre 2008 inzwischen sind, dokumentieren vor allem die Plakate am Wegesrand. Da wird für ein Handy geworben mit dem Spruch „Bringt 8 Megapixel mehr Schärfe in ihr Leben“. Acht Megapixel, das wirkt aus heutiger Sicht zusammen mit dem klobigen Telefonbrikett und dem Minibildschirm wie ein schaler Witz. Auch die Spritpreise erzählen von einer anderen Zeit. Der Liter Diesel ist an der Völklinger Straße für 1,33 Euro zu haben, der Liter Super für 1,41 Euro. Von wegen alles wird teurer.
Und dann ist da noch der freundliche Herr Elbers. Am Südring liest man auf einem Riesenposter, dass er am 31. August als Nachfolger des im Mai verstorbenen Joachim Erwin zum Oberbürgermeister gewählt werden will „Mit Freude und Gemeinsinn für Düsseldorf“ steht da auch.
Da bin ich kurz versucht, nach einer Wettbude zu suchen, um all mein Geld auf Dirk Elbers zu setzen. Weil ich ja weiß, dass er die Wahl am 31. August 2008 gewonnen hat. Meine Chance, rasch Millionär zu werden, verpufft allerdings so rasch wie sie mein Hirn erobert hat. Ich erfahre, dass ich zwar ins Jahr 2008 reisen kann, aber aussteigen ist leider nicht erlaubt. Mist aber auch. Beschwerde an Google ist raus. Da muss dringend nachgebessert werden.