Zu Gast bei den lieben Fabelwesen
„Das geheime Haus“ hatte Premiere im Jungen Schauspielhaus. Und erzählt eine Geschichte über Begegnungen und Abschiede.
Blitz und Donner. Jemand schreit auf, ist auf der Flucht, kommt entkräftet an im Irgendwo. Ein Junge mit dem für einen Jungen ungewöhnlichen Namen Frida steht einsam und ratlos vor der nebelhaften Fensterfront eines Hauses (Bühne: Karel Vanhooren). Schemenhaft werden da drin Gestalten sichtbar wie Schattenspieler. Es kommt sodann zur ersten Begegnung mit fremden Wesen.
„Das geheime Haus“ lautet der Titel des Stücks von Autor und Regisseur Gregory Caers, das jetzt im Jungen Schauspielhaus an der Münsterstraße Premiere hatte. Für Kinder im Alter ab sechs Jahren soll es gedacht sein, und natürlich auch für Erwachsene, wie jede anspruchsvolle Theaterproduktion auch reifere Freunde der darstellenden Kunst ansprechen kann.
Auf der Kinderaugen-Ebene glänzt die Produktion mit fantasievollen Kostümen (Martina Lebert) sowie Masken und Perücken (Silke Adams). Die Individuen, auf die Frida trifft, wirken wie ganz verrückte Fabelwesen oder Menschen aus einer anderen Epoche — vom stämmigen Troll im Tutu bis zur Dame im konservativen Habit aus alten Tagen. Hinzu kommt ein Mädchen mit gigantischer Zottel-Frisur, das wie ein lachender Kobold die Szene betritt. Unterdessen macht ein gealtertes Ex-Model dem jungen Ankömmling Avancen mit der kuriosen Vermutung: „Du fragst dich bestimmt, warum ich so gut aussehe.“
Leitmotive des Stücks sind Flucht und Angst vor dem Fremden. Frida, der Neuling, ist uns als Figur am stärksten vertraut, denn er gleicht uns am meisten. Bis auf die Leder-Bandagen für die Beine trägt er Alltagskleidung, während die vorgefundene Gesellschaft in den grellsten und groteskesten Kostümen steckt. Erschreckt, aber zunächst sprachlos, stehen die ungleichen Parteien einander gegenüber. Dann beginnt Frida zu plappern, wortreich, aber mit vielen Wiederholungen. Der etwas unterwürfige Wortschwall mündet in der Frage, ob er bleiben dürfe.
Ganz so exotisch sind die bunten Gestalten auf lange Sicht doch nicht. Sie tanzen zum Donauwalzer, kriegen Kinder und lassen ihnen eine Erziehung angedeihen. Und doch wirken sie sonderbar unzivilisiert. Besonders deutlich wird das zum Schluss. Frida muss zurück in seine alte Welt und will seine neuen Freunde mitnehmen. Er erklärt ihnen, wie man Bitte und Danke sagt, beim Bäcker Brot kauft — und wie man tanzt. Das Stück mündet in einen wilden Tanz, bei dem sich Frida von seinen Bandagen befreit und tobt wie toll. In die Einsamkeit verschwinden muss er aber dennoch.
„Das geheime Haus“ fasziniert durch die farbenfrohe und witzige Bildsprache und das lebendige Spiel der Darsteller. Bernhard Schmidt-Hackenberg hat als Frida darstellerisch am meisten zu leisten. Er geht vollkommen in der Rolle auf, überzeugt als Angsthase genauso wie als Diplomat in eigener Sache, verbunden mit einer sehr klaren Artikulation. Schmidt-Hackenberg ist relativ klein und sportlich, was ihm gestattet, zu springen und zu toben wie ein Kind. Unterdessen besitzt das Stück auch eine sozialpädagogisch-metaphorische Ebene, die aber nicht mit erhobenem Zeigefinger daher kommt. Ein Satz, der fällt, charakterisiert ein wenig den Geist des Stücks: „Du denkst, etwas ist so oder so, und dann ist es doch ganz anders.“