U76 Drei Städte, drei Stationen, drei besondere Menschen
Düsseldorf · Sie kennen sich nicht, dennoch sind sie miteinander verbunden. Ein Besuch bei einem Büdchen-Besitzer, einer Wirtin und einer Hunde-Friseurin, die eines eint: Seit Jahren arbeiten sie an der Strecke der U76.
Die Mitte ist genau hier, aber man sieht sie nicht. Reza Milani verkauft in seinem Büdchen an der Moerser Straße in Meerbusch-Büderich Dinge des täglichen Bedarfs. Dazu gehören Kaffee, belegte Brötchen, Zigaretten und Bier. Und weil der Standort seines Kiosks am Rand des Büdericher Villen-Viertels liegt, gehören zum Sortiment auch drei Sorten Champagner und – nach Vorbestellung – Kaviar. Das brachte dem Häuschen den Namen „Champagner-Büdchen“ ein. Sehr wohlhabende Menschen gehören zu seinen Kunden, vor allem aber sind es Arbeiter.
Dass man diesen Ort als Mitte bezeichnen kann, liegt an der U76. 22 Minuten dauert die Fahrt von der gegenüberliegenden Station Forsthaus zum Düsseldorfer Hauptbahnhof, genau so lange braucht die Bahn, bis sie in entgegengesetzter Richtung die Endstation Rheinstraße in Krefeld erreicht hat. Und es liegt an Büdchen-Besitzer Reza Milani. Ob ein mehrfacher Millionär oder ein Paketfahrer bei ihm einkauft, mache für den 51-Jährigen keinen Unterschied. „Ich komme mit allen klar“, sagt er. Über seine teils prominenten Gäste möchte er nicht viel reden. Diskretion gehört für ihn zum Geschäft.
Seit 2010 betreibt er das in den 50er Jahren erbaute und mittlerweile unter Denkmalschutz stehende Büdchen. Nach 20 Jahren in der Gastronomie, davon 13 Jahre im Deutschen Eck, sehnte er sich nach einer weniger intensiven Arbeit. Von dem Fenster seines Arbeitsplatzes blickt er von sechs bis 14 Uhr direkt auf die B9 und auf die Haltestelle der U76. Beide Verkehrswege sorgen dafür, dass genug Kundschaft da ist. Im Sommer etwas mehr, im Winter etwas weniger. Der größte Teil fährt mit dem Auto oder Lieferwagen vor, nur manche kommen mit der Bahn.
Neun Autokilometer oder sieben Stationen weiter nördlich kümmert sich Margit Michel um Menschen, die in der zweiten Hälfte des Tages Essen, Getränke und Gesellschaft suchen. Reza Milani und Margit Michel kennen sich nicht, sind aber ungefähr gleich lange mit der K-Bahn verbunden. 2010 hat die 61-Jährige mit ihrem Partner das Lokal in einem alten Bahnhofsgebäude an der Haltestelle Fischeln eröffnet, in dem sie auch wohnen. Die Bahnlinie ist oft präsent. Wenn Margit Michel kurz vor 5 Uhr morgens die erste Bahn hört, weiß sie, dass sie noch etwas schlafen kann. Und kurz bevor nach Mitternacht die letzte Bahn einfährt, kommt es vor, dass ein Gast aufs Zahlen drängt. Leser der WZ waren es, die dem Lokal nach einem Aufruf den Namen „U76“ gaben.
Die Unzulänglichkeiten des Baus von 1898 machen gleichzeitig seinen Charme aus. Da es in den Wirtsräumen keine klassische Heizung gibt, sorgen Holzöfen im Winter für intensive Wärme. Ein Teil des Lokals hat die gebürtige Neusserin mit antiken Möbeln ausgestattet, die Wände haben beim Bau vor mehr als 100 Jahren keine Wasserwaage gesehen. Weitere Alleinstellungsmerkmale des Lokals sind Weine von der Mosel und Idar-Obersteiner Spießbraten.
Trotz der Nähe zur Bahn kämen die meisten Gäste zu Fuß oder mit dem Fahrrad – letzteres vor allem im Sommer, wenn auch der Biergarten geöffnet hat. Dennoch sieht Margit Michel die Nähe zur U76 als großen Vorteil. Zum Beispiel an Silvester, wenn Besucher andernorts lange oder sogar vergeblich auf ein Taxi warten müssen. Ab und an mischten sich auch jüngere Besucher unter die Gäste, um am Wochenende vor der Bahnfahrt nach Düsseldorf vorzuglühen.
Die Fahrt führt sie dann auf dem Weg in die Düsseldorfer Altstadt auch am Hundesalon von Rose Nuggel vorbei. Die 69-Jährige ist das, was man gemeinhin als Institution bezeichnet. Die Art, wie sie mit unbekannten Besuchern spricht, erinnert an die raue Herzlichkeit eines Köbes’. Ihr Salon hat nichts mit dem Chichi zu tun, das Außenstehende dem Stadtteil Oberkassel gerne zuschreiben. Rose Nuggel beobachtet die U76 seit 33 Jahren aus ihrem „Pudelparadies“ am Niederkasseler Kirchweg beziehungsweise an der Haltestelle Heerdter Sandberg – sofern sie zwischen dem Frisieren der Hunde dafür Zeit hat. Einige ihrer Kunden kämen mit der Bahn. Für sie selbst sei das keine Option. „Das geht mit fünf Hunden nicht“, sagt sie.