Düsseldorfer Atelierbesuch Karin Kneffel malt Madonna und Kind
Düsseldorf · Ein Besuch im Atelier der großen Düsseldorfer Malerin, die erstmals eine Serie menschlicher Motive schuf. Die Gemälde entstanden nicht nach lebenden Modellen, sondern nach farbig gefassten Holzskulpturen.
Die Düsseldorfer Künstlerin Karin Kneffel ist eine der wichtigsten Malerinnen weltweit. Ihre verführerisch realistischen Bilder mit Landschaften und Interieurs sind derart vielschichtig gemalt, dass sie sich nicht fassen lassen. Menschen kamen darin allerdings kaum vor. Doch mit Corona wurde alles anders. „Frauengesicht – Kinderkopf“ ist die erste Serie menschlicher Motive, die einen triumphalen Einstand bei Gagosian in Rom hatte. Nun zeigt sie den zweiten Teil in Düsseldorf bei Schönewald.
In ihrem Atelier durften wir einen ersten Blick auf Mutter und Kind werfen. Es sind Gemälde, nicht nach lebenden Modellen, sondern nach farbig gefassten Holzskulpturen. Sie oszillieren zwischen Abbild und Realität und scheinen im Bild realer zu sein als in der Skulptur. Doch wer sind diese Porträts? „Seit Jahren gehe ich durch Kirchen und Museen und bin immer an den Madonnenfiguren vorbeigelaufen, weil mich das religiös geprägte Bild des Mutterseins dieser Bildnisse der Andacht eher abschreckte. Aber irgendwann schaute ich sie mir doch genauer an und richtete meinen Fokus auf die menschliche Dimension, die den Marienskulpturen innewohnt. Die Frauengesichter sahen nicht unbedingt glücklich aus, nicht beseelt in ihrem Muttersein, eher distanziert. Die bildnerischen Eigenarten der Skulpturen zogen mich in ihren Bann und ich begann, sie über einen langen Zeitraum zu fotografieren. Ich wollte sie malen, wusste aber nicht wie und scheiterte und schaute mir doch weiterhin Madonnen mit Kind an.“
In der Corona-Zeit fand sie die nötige Ruhe und nahm sich das Thema des Porträts wieder vor. Sie merkte, dass sie hauptsächlich farbig gefasste Skulpturen aus dem 15. Jahrhundert fotografiert hatte. Damals begann der Realismus: „Es waren immer zwei Künstler am Werk, der Skulpteur, der die Figur schnitzte, und der Fassmaler, der sie bemalte und damit auch interpretierte und veränderte. Ich beschäftige mich also mit dem Werk zweier Künstler.“
Irgendwann wusste sie, wie sie trotz der Abbilder Distanz wahren konnte: „Ich musste Mutter und Kind durch jeweils separate Leinwände trennen, und ich wollte den Ausschnitt verengen und mich nur auf die Gesichter fokussieren und diese vergrößern. Um die Frauen diesseitiger zu verorten, schnitt ich die Stirn an. Dadurch wurde das Frauengesicht im Bild größer, und religiöse Attribute wie Kronen oder Gewänder verschwanden. Zugleich saß nun der Kinderkopf, der ja in der Relation zum Gesicht der Mutter viel kleiner ist, besser im Bild.“ Die Serie konnte beginnen.
Historische Künstler
hatten reale Vorbilder
Die bildnerischen Eigenarten der Skulpturen übten eine große Faszination auf sie aus, sie wollte sie so wirklichkeitsgetreu wie möglich darzustellen. Dabei guckte sie alles ganz genau an, selbst das Kinderhaar, das sie an die Häufchen bei den Wattwanderungen erinnerte oder Holzwurmlöcher, die am Ende zu Leberflecken auf der Skulptur werden. Selbst die Kinderohren fanden ihr Interesse. Sie sind ungewöhnlich groß, in einem Fall sogar dick und fleischig. Hier zeigt sich Karin Kneffel bibelfest: „Jesus sollte sich um die Sorgen der Menschen kümmern und alle Sorgen aufnehmen. Deshalb brauchte er große Ohren, damit er alles hören konnte. Die Ohren waren – und das ist ganz klar – kein handwerkliches Unvermögen des Künstlers.“
Ein kleiner Lockenkopf ist anders, fast schon zeitgenössisch. Wie Karin Kneffel weiß, kommt das Original aus Venedig um 1520. Das sei nicht mehr der fromme Blick, der ins Nichts gerichtet ist, sondern da schaut einer, sagt sie. Nun zeigt sie ausschließlich Köpfe im Hochformat, ohne Krone, mit angeschnittener Stirn, sodass das jeweilige Gesicht direkt bis an den Bildrand rückt. Keine der Madonnen zeigt eine jenseitige Ekstase, sondern stets eine weltliche Existenz. Das beweist, dass die historischen Künstler reale Vorbilder hatten. Und die interessierten die Düsseldorferin, die sie in flache Nahaufnahme transformierte und auf zwei Bildtafeln malte, indem sich die Blicke von Frau und Kind nun nicht mehr treffen, aber dennoch die Köpfe ihre himmlische und irdische Ähnlichkeit bewahren.
Das erste Motiv, das sie aus ihrem Bildarchiv malerisch übersetzte, stammt aus dem Kunstpalast. Die Malerin fand die Physiognomie der Muttergottes und ihres Sohnes aus dem Umkreis von Veit Stoß in Krakau um 1510 beeindruckend. Auch dort hat sie die stark gewölbte Stirn angeschnitten, damit die Krone nicht sichtbar ist. Beim historischen Gottessohn in Holz erkennt man die gleichen charakteristischen Gesichtszüge und damit familiäre Nähe.
Es gibt sogar das erste Selbstbildnis der Künstlerin, 30 Jahre jünger als jetzt, mit ihrem Sohn als Kleinkind. Ihr Frauenkopf blickt zum Sohn herab und schaut in dieselbe Richtung wie dieser. Die Familienbilder bleiben allerdings auch in der Familie.