Düsseldorfer Rede von Elke Heidenreich „Nichts, was uns glücklich macht, muss im Alter vorbei sein“

Düsseldorf · Bei ihrem umjubelten Auftritt bei den „Düsseldorfer Reden“ bietet Elke Heidenreich eine positive Sicht auf das Altern und ermuntert zu einem sinnerfüllten Leben.

Autorin Elke Heidenreich bei ihrem umjubelten Auftritt bei den „Düsseldorfer Reden“.

Foto: Endermann, Andreas (end)

„Guten Morgen“, begrüßt Elke Heidenreich unter aufbrandendem Beifall das Publikum im ausverkauften Düsseldorfer Schauspielhaus. Und dann, mit einem ironischen Lächeln: „Er hat ja fast schon alles verraten.“ Er, damit meint sie Lothar Schröder, die seit sieben Jahren in Kooperation mit dem Theater die „Düsseldorfer Reden“ veranstaltet. In seiner launigen Einführung hatte er Heidenreichs Auftritt hervorgehoben: „Dies ist eine ganz besondere Rede, vielleicht die allererste, zu der alle ausnahmslos ein kompetentes Wörtchen beitragen können – es geht um das Alter.“

Jede literarische Betrachtung dazu müsse immer auch etwas Autobiografisches in sich tragen, sie mache nur Sinn, wenn sie über das Persönliche hinausweise, wenn wir Bekanntes entdecken dürfen und gedanklich an die Hand genommen werden. Das jüngste Buch der auf vielen Bühnen präsenten Schriftstellerin, Kritikerin und Moderatorin erklomm in Windeseile die Bestsellerlisten und steht in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Platz eins.

Elke Heidenreich, die große Leserin und bedingungslose Fürsprecherin der Literatur, so Schröder weiter, schreibe nicht vom bedrohlichen Koloss des Alters. Ihr Buch „Altern“ schildere eine Entwicklung, sei weder Ratgeber noch ordentliche Autobiografie. Man ahne jedoch, dass die Gedanken, Hinweise und Fallstricke des Lebens nicht erdacht, sondern erfahren wurden. Damit werde das „Tu-Wort“ altern zu einer Art Glücksformel. Das Postulat der niemals kleinlauten Autorin: „Neugierig bleiben, sich herausfordern lassen und ein sinnerfülltes Leben führen.“

Dann gehört die Bühne Elke Heidenreich ganz und gar. Als vor einem halben Jahr die Idee zu ihrer „Düsseldorfer Rede“ aufkam, erzählt sie, habe sie sofort gedacht: „Ja! Über Orpheus. Das ist der, der so schöne Musik macht, dass er damit die Götter der Unterwelt erweichen konnte.“ Seine Liebste war gestorben, doch sie erlauben ihm, Eurydike wieder ins Leben abzuholen, nur dürfe er sich auf dem Weg nach oben nicht umdrehen. „Und was macht der Idiot?“ fragt sie. „Er dreht sich um und verliert alles. Das bedeutet für mich: Wenn wir der Kunst nicht trauen, sind wir verloren.“ Darüber habe sie ursprünglich sprechen wollen. Weil „Altern“ aber schon im Fluss war, entschied sie sich dafür.

Daraus wurde dann keine „Düsseldorfer Rede“ im üblichen Sinn, in der die Vortragenden neues Gedankengut zu einem bestimmten Thema formulieren. Zu erleben war eine quicklebendige Lesestunde mit den wichtigsten Thesen aus dem Buch. Es ginge gerade dermaßen sensationell durch die Decke, berichtet sie: „Das kann nicht an Frau Heidenreich liegen, so berühmt bin ich nicht. Was passiert da?“

Täglich bekäme sie Körbe von Post, deren Inhalt sich gleicht: „Jetzt habe ich endlich keine Angst mehr vor dem Alter.“ Sie denke dann: „Wie bedürftig müssen die Menschen sein, dass eine wie ich ihnen sagen muss, mein Gott, ihr lebt noch, wovor habt ihr Angst? Sterben müssen wir alle, aber jeden Tag darauf zu warten, ist vielleicht die falsche Einstellung. Da merkte ich, was das für ein Thema ist. Und mir war klar, dass es genau das Richtige ist, heute vor Ihnen über das Alter zu reden. Und genau das tue ich jetzt.“

Ein großes Vergnügen, Elke Heidenreich zuzuhören. Auch im Schauspielhaus stellt sie wie im Buch die beiden Versionen ihres Lebens gegenüber, die schlechte und die gute, als Anregung, sein eigenes Leben selbst einmal einzuschätzen. Ihr Grundgefühl sei nicht Verlust und Bedauern, sondern Dankbarkeit, das Grübeln über vermeintlich falsche Entscheidungen an wichtigen Gabelungen sinn- und nutzlos.

„Altern“ ist gespickt mit Zitaten von Dichtern und Denkern, ein jedes erscheint im Zusammenhang passend und erhellend. Die Einstellung zum Leben, schreibt etwa Norberto Bobbio, sei davon geprägt, ob es wie ein steiler Berg, ein breiter Strom oder undurchdringlicher Wald begriffen werde. Das gefällt ihr, alle drei Phasen sind ihr vertraut. Angst vorm Tod? Nein, betont sie, manchmal höre sie den bei ihrer Geburt abgesetzten Pfeil schon sirren. „Aber was wäre die Alternative? Ich sehe mein Leben als Theaterstück und bin gespannt auf den letzten Akt.“

Die Zuhörer hat sie mit ihrem fesselnden Vortrag fest im Griff, vieles von dem, was sie sagt, wird applaudierend geteilt. Gegen Ende will sie mit Blick auf die Uhr wissen: „Soll ich etwas kürzen?“ Ein vielstimmiges „Nein“ schallt ihr entgegen. Also liest sie munter weiter, ein bisschen schneller noch als zuvor. Wenn eine das kann, dann sie. „Nichts, was uns glücklich macht, muss im Alter vorbei sein, nichts“, gibt sie uns mit auf den Weg. Erinnerungen bewahren, das ja. Aber bloß nicht in der Vergangenheit leben: „Die Gegenwart wird erträglich durch ein waches Teilnehmen.“ Beim letzten Satz springt das Publikum auf. Elke Heidenreich verbeugt sich – den Tränen nahe – und sagt: „Und jetzt geht raus und trinkt ein Glas Wein!“