Europa in Nettetal Europa ist zur Selbstverständlichkeit geworden

Nettetal · Am 9. Juni wird das Europäische Parlament gewählt. Die Stadt Nettetal grenzt direkt an die Niederlande. Wo in der Stadt wird Europa besonders spürbar? Was bedeutet Europa konkret für Nettetal?

Am 9. Mai hatten alle neun Städte und Kommunen im Kreis Viersen an den Rathäusern die Europafahne gehisst. Bürgermeister Christian Küsters lässt sie mindestens bis zur Europawahl am 9. Juni am Rathaus flattern.

Foto: Stadt Nettetal

Früher war nicht alles besser. Wenn Bürgermeister Christian Küsters (Grüne) seinen Töchtern erzählt, dass es an der Grenze zu den Niederlanden früher Schlagbäume und Kontrollen gab, dass man jenseits der Grenze mit Gulden bezahlen musste - dann schauen sie ihn mit großen Augen verständnislos an. Im Schengenraum und Binnenmarkt kann man heute ganz einfach über die deutsch-niederländische Grenze gelangen, und vor und hinter der Grenze zahlt man mit Euro. Wer schon länger mit Mobiltelefonen unterwegs ist, weiß, wie teuer es werden konnte, in Grenznähe plötzlich in das niederländische Netz zu geraten. Erst 2017 fielen die Roaming-Gebühren EU-weit weg.

Als Grenzstadt ist Europa in Nettetal im Alltag allgegenwärtig. Weil das so selbstverständlich geworden war, traf die Corona-Pandemie umso mehr ins Herz: Plötzlich wurden Tests nötig, die Besucher aus den Niederlanden blieben in den Geschäften und Restaurants aus, eigene Besuche in Venlo oder weiter wurden schwierig. In Kaldenkirchen etwa machen in vielen Geschäften oder Gastronomiebetrieben die Niederländer gut die Hälfte der Besucher aus.

In Kaldenkirchen gab es bis zur Einrichtung des Binnenmarktes den drittgrößten Grenzgüterbahnhof. Die Gleisanlagen wurden in den 1990er Jahren weitgehend abgebaut. Es war dann die niederländische Firma Cabooter Railcargo, die ab 2016 auf dem Gelände wieder einen Container-Umschlag von der Straße auf die Schiene aufbaute. Für die grenzüberschreitende Mobilität gibt es aber noch etliches zu tun: Während Besitzer der Deutschlandkarte mit dem Zug bis nach Venlo fahren dürfen, gilt sie nicht auf der Linie 1, dem Elektrobus, der von Kaldenkirchen nach Venlo fährt, betrieben von der niederländischen Arriva. Bürgermeister Küsters will mit Hilfe der Verkehrsgesellschaft Kreis Viersen und der Euregio Rhein-Maas bis Mitte 2025 erreichen, dass der Grenzübertritt mit dem Deutschlandticket auf dieser Linie möglich sein wird.

Bei vielen Projekten profitiert auch die Stadt Nettetal von Fördermitteln der Europäischen Union. Doch es ist schwierig, sie einzeln und in genauen Summen auszuweisen. Viele Projekte laufen über die Euregio oder Leader, ein Förderprogramm der Europäischen Union zur Entwicklung des ländlichen Raumes. Zuletzt gab es für das grenzüberschreitende Friedensfest am 1. Mai einen Zuschuss von der Euregio. Für die Zusammenarbeit der Baumschule Baum & Bonheur mit niederländischen Hochschulen bei Sensortechnik für eine sparsame Bewässerung gibt die Euregio einen Zuschuss. Die Städte Geldern, Kevelaer, Nettetal und Straelen bilden die Leader-Region „Leistende Landschaft“. So wird darüber etwa die Berufsberatung von base-l für Schüler der Real- und Gesamtschule Nettetal bezuschusst. Auch die 100 Kilometer lange Kunst-Route Fahrt-Art wurde mit EU-Mitteln finanziert. Auch der Skatepark in Kaldenkirchen wurde so teilweise ermöglicht. Meistens sind es Mischfinanzierungen, die sich nicht genau abgrenzen lassen.

Natürlich bringt der freie Binnenmarkt mit dem Austausch von Arbeitskräften und unterschiedlichen nationalen Gesetzen auch Probleme. Im gesamten deutschen Grenzgebiet gibt es schwierige Wohnsituationen von Leiharbeitern, die dann in den Niederlanden arbeiten. Auch dabei können mit der Euregio verschiedene Behörden in beiden Ländern leichter zusammengeführt werden. Wie man die Situation verbessern kann, untersucht jetzt ein Forschungsprojekt der Hochschule Rhein-Waal.

Ein großes Plus sieht Bürgermeister Küsters im europaweiten Naturschutz. Die Renaturierung von Nette und Niers wäre ohne die Wasserrahmenrichtlinie der EU nicht so erfolgt. Die Kita Trappistenweg hat eine niederländische Kindergärtnerin. Und auch an den Grundschulen wird Niederländisch gelehrt. Für die große polnische Community gibt es zwei Lebensmittelgeschäfte. Die griechische Gemeinde hat sogar einen eigenen Fußballverein, den FC Hellas Nettetal. Von den italienischen Eisdielen und Pizzarias haben wir noch gar nicht gesprochen. Europa wird in Nettetal gelebt.