Geisterarmee im Zweiten Weltkrieg Die Geisterarmee im Zweiten Weltkrieg

Viersen/Willich · Im US-Kongress wurden jetzt Mitglieder der „Ghost Army“ für den Einsatz im Zweiten Weltkrieg geehrt. Sie hatten mit aufblasbaren Panzern deutsche Truppen zwischen Dülken und Anrath getäuscht und die Rhein-Überquerung ermöglicht.

Das nachkolorierte Foto zeigt drei GIs der „Ghost Army“ vor einer Panzerattrappe.

Foto: Ghost Army Legacy Project

Es ist der Stoff, aus dem Hollywood gerne großes Kino macht. Dass es noch keinen Blockbuster über die „Ghost Army“ gibt, liegt wohl schlicht daran, dass die Existenz der „23. Headquarters Special Troops“ auch viele Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs „top secret“ war. Offizielle US-Dokumente wurden vom Pentagon erst 1996 freigegeben, und Literatur zu dem Thema gibt es kaum. Gesichert ist: Ihren wohl wichtigsten und größten Einsatz hatte diese besondere Division am Niederrhein. Der Name des Manövers: „Operation Viersen“.

Das Besondere der 1100 Mann starken Division, die direkt General Dwight Eisenhower unterstellt war: Sie hatte keine Waffen. Sondern aufblasbare Panzer, aufblasbare Jeeps, aufblasbare Trucks. Und riesige Lautsprecheranlagen, die den Lärm von Panzerketten und Artillerie zum Feind pusteten. Der Auftrag: der Wehrmacht eine Truppenstärke von bis zu 30 000 Mann vorzugaukeln und so die deutschen Soldaten zu verwirren.

Die „Operation Viersen“ begann, als der Krieg in seine Endphase trat: Beim D-Day waren die amerikanischen GIs am 6. Juni 1944 in der Normandie gelandet, kurz darauf kamen nach und nach auch die Soldaten der Ghost Army über den Atlantik. In ihren insgesamt 21 Operationen in Frankreich, Luxemburg und Deutschland verfuhr die „Geisterarmee“ stets nach dem gleichen Muster: Sie nahm die Rolle von Divisionen der 12. US-Army-Group ein, die wirklich existierten. Die falschen Armee-Einheiten sollten deutsche Kräfte beschäftigen und vom wahren Schwerpunkt eines Manövers ablenken.

Im Raum Viersen, von Dülken bis Anrath, setzte die Geisterarmee fast das ganze Arsenal an aufblasbaren Attrappen gleichzeitig ein. Eine Armee aus 600 Gummipanzern und Artilleriegeschützen täuschte von dort den Sturm über den Rhein vor, während die echten Einheiten weiterzogen. Luftaufnahmen der US-Army zeigen die Gummipanzer nahe einem Gehöft bei Dülken. Sogar Baugeräusche von Pontonbrücken wurden im Rahmen der „Operation Viersen“ imitiert. Mit Licht- und Soundeffekten wurde Artilleriefeuer simuliert. Halbkettenfahrzeuge hinterließen viele Panzerspuren. Zugleich gaukelten die Techniker hektische Funk-Aktivitäten vor.

Tatsächlich fand die Rhein-Attacke nahezu zeitgleich - am 23. März 1945 - rund 40 Kilometer weiter nördlich bei Wesel statt. Womöglich stießen die Alliierten dabei auf so wenig Widerstand, weil die „Geisterarmee“ zuvor deutsche Einheiten gebunden hatte. Es war der letzte Einsatz der „23. Headquarters Special Troops“.

Vor zwei Jahren machte US-Präsident Joe Biden den Weg frei, dass die letzten noch lebenden Reservisten dieser surrealen Division mit der „Congressional Gold Medal“ geehrt werden konnten, der höchsten Auszeichnung des US-Kongresses. Sieben Reservisten leben noch, nur drei Mitglieder der Geisterarmee sind im Zweiten Weltkrieg gefallen.

Hochbetagte Männer kamen zur Zeremonie auf dem Capitol Hill in Washington D.C., darunter Bernie Bluestein. „Ich bin 100 Jahre alt“, sagte er den Journalisten. Er sei eher ein Einzelgänger. „Das hier ist alles sehr überwältigend für mich.“ Ähnlich äußerte sich sein Kamerad Seymour Nussenbaum. Er stehe nicht gerne im Mittelpunkt, sagte er. „Aber ich bin sehr stolz, hier zu sein.“

Bei der Ehrung wurde betont, dass der Einsatz der Geisterarmee Tausende Leben gerettet habe, indem Kräfte der Wehrmacht gebunden wurden. Ob das tatsächlich so war, darüber gehen die Meinungen auseinander. Schon vor mehr als zehn Jahren äußerte der Historiker John Zimmermann vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam im „Spiegel“ Zweifel. „In den deutschen Lageberichten finden sich keine Hinweise, dass die Wehrmacht etwas von einer solchen Armee wusste oder sie Einfluss auf die deutsche Kriegsführung hatte“, erklärte der Historiker. Die Deutschen hätten bereits Ende 1944 kaum noch die Kapazität gehabt, Luftaufklärung zu fliegen, argumentierte Zimmermann. Der Einsatz von Attrappen habe daher eigentlich keinen Sinn gehabt.

Die Idee soll auf den Journalisten Ralph Ingersoll zurückgehen

Vielleicht fanden sich in den Lageberichten der Wehrmacht aber auch keine Hinweise auf eine Geisterarmee, weil die Tarnung schlicht perfekt war. Die Täuschung funktionierte jedenfalls so gut, dass sie selbst US-Einheiten verwirrte, die nicht über die „Geisterarmee“ informiert waren. Ein US-Major soll die Soldaten einmal wutentbrannt nach all den lebenswichtigen Panzern gefragt haben, deren Geräusche er nachts noch gehört hatte - und die er am Tage nicht sah.

Für die Mitglieder der Geisterarmee gab’s klare Anweisungen: Unter keinen Umständen durften sie die aufgeblasenen Panzer, rund 40 Kilo schwer, mal eben über eine Straße tragen, sondern nur versteckt im Rucksack, wenn die Luft rausgelassen war. Und sollten die Deutschen tatsächlich bedrohlich nahe kommen, war die gesamte Ausrüstung zu vernichten.

Die Idee zur der „Ghost Army“ soll auf den New Yorker Journalisten Ralph Ingersoll zurückgehen. 1943 heckte der Hauptmann in London gemeinsam mit den Briten Täuschungsmanöver aus. Die Briten hatten bereits in Nordafrika Wüstengeneral Erwin Rommel mit Attrappen von Flugplätzen in die Irre geführt und tarnten Panzer als Lastwagen und Lastwagen als Panzer. Mit der Idee von aufblasbaren Panzern kehrte Ingersoll in die USA zurück – und überzeugte seine Vorgesetzten. Im Januar 1944 wurden die „23 Headquarters Special Troops“ in Dienst gestellt.

Und auch wenn niemand von ihnen ein Wort über die Geisterarmee verlor, erlangten etliche von ihnen Berühmtheit. Für die Tarnexperten, Geräuschemacher und Attrappenbauer hatte die US Army überwiegend Künstler, Tontechniker, Fotografen und andere Kreative rekrutiert. Die späteren Maler George Vander Sluits, Arthur B. Singer und Ellsworth Kelly hatten ebenso bei den 23ern gedient wie der spätere Designer Jack Masey oder der Modemacher Bill Blass.

In Mode blieben auch die aufblasbaren Panzer. Noch 1988, als die „Ghost Army“ noch geheime Verschlusssache war, orderte das Pentagon für 7,5 Millionen Dollar bei der Firma TVI-Corp. im US-Staat Maryland 4000 Panzer-Atrappen, die dem M-1 täuschend ähnlich sehen sollten. Der Plastik-M-1, der nur elf Kilo wiegt und in drei Minuten von einem Mann aufgebaut werden kann, verfügt über einen eingebauten Generator, der die Wärmeabstrahlung eines Panzers nachahmt. Tonband und Lautsprecher täuschen, wenn nötig, das Kettengeräusch eines ganzen Panzer-Bataillons vor.