Haan Und immer wieder waren Engel da
Haan. · Das Ehepaar Elker hat vor 25 Jahren die Inklusion in Haan auf den Weg gebracht, unter anderem mit einer Demo. Der Lebensweg ihrer behinderten Tochter wurde immer wieder von besonderen Menschen mitgeprägt.
Elke Zerhusen-Elker und ihr Ehemann Uwe Elker sind keine Leute, die ihren christlichen Glauben demonstrativ vor sich her tragen. Aber von einem sind die beiden Haaner felsenfest überzeugt: „Es gibt Engel – das haben wir in unserem Leben gleich mehrfach erfahren. Immer, wenn wir dachten, es gehe nicht mehr weiter, tauchte so ein Engel auf und hat uns geholfen.”
Das gilt vor allem für einen Heiligabend Mitte der neunziger Jahre. An diesem Tag hing das Leben der gemeinsamen Tochter nur noch an einem seidenen Faden.
Sara, mit Down-Syndrom geboren, hatte schon im Säuglingsalter operiert werden müssen. Dabei war ihre Luftröhre beschädigt worden, mit dem Effekt, dass das Mädchen immer wieder unter schwerer Atemnot litt – an jenem Heiligen Abend so schlimm, dass die Eltern fürchten mussten, ihr Kind werde den ersten Weihnachtstag nicht mehr erleben.
Die Elkers riefen Saras behandelden Kinderarzt Dr. Steinhagen an, der Sara schon seit ihrer Geburt behandelte. „Er hat uns zu sich nach Hause bestellt, wo er die Bescherung seiner Kinder unterbrach, um uns zu helfen“ berichtet Uwe Elker. „Er hat Sara definitiv mehrmals das Leben gerettet.“ Ein Engel.
Es sollte nicht der einzige bleiben: In den Folgejahren fanden die Elkers immer wieder Unterstützer in kritischen Situationen mit großer Bedeutung für die Zukunft – so hatte das 1987 aus Hilden zugezogene Paar beispielsweise erfolgreich für eine erste integrative Spielgruppe in Haan gekämpft. Die wurde dann im Gemeindehaus an der Flemingstraße eingerichtet. Dort lebte und wirkte ein weiterer Engel im Leben der Familie. Pfarrer Hans-Peter Gitzler: „Er hat uns seit dieser Zeit immer wieder mit Rat und auch mit Tat unterstützt“, betont Elke Zerhusen-Elker: „Als es dann Zeit für einen Kindergarten wurde, waren schon andere Engel am Werk, die wir nur telefonisch kannten.“
Es waren einige Mütter, die sich für die Integration in Kindergärten stark gemacht hatten. Die Integrative Kindertagesstätte Bollenberger Busch wurde eingerichtet und Sara konnte dort einen der, für ihr weiteres Leben so wichtigen, Plätze ergattern.
Doch als das Mädchen ins Vorschulalter kam, wurde der Familie klar, dass solch ein integratives Angebot noch keine der Haaner Schulen auf der Agenda hatte.
In dieser Situation tauchten gleich mehrere Engel auf, von denen einer auch noch genauso hieß: Christine Engel. Zusammen mit ihr gründeten Elke und Uwe Elker den Verein „Gemeinsam Leben und Lernen Haan“, der am 31. Januar 1997 mit einer ganz besonderen Aktion von sich reden machte: der zweiten Demonstration in der Gartenstadt seit Bestehen der Bundesrepublik.
Die zweite Demo in Haan
seit Bestehen der BRD
Im Einsatzbefehl der Polizei zu dem damaligen Marsch durch die Innenstadt heißt es dazu wörtlich: „Grund ist eine voraussichtliche Ablehnung eines Beschlusses des Schulausschusses der Stadt Haan, finanzielle Mittel für eine integrative Beschulung bereitzustellen.“ Als Transportmittel werden „Kinderwagen und Rollstühle“ genannt. Voraussichtliche Teilnehmerzahl: 200. „Wir waren am Ende deutlich mehr”, erzählt Uwe Elker, selber Polizist, der später den kompletten Wachbereich Mettmann leitete. Er hat die Bilder noch genau im Kopf: „Da haben wir richtig Alarm gemacht.“
Auch Elke Zerhusen-Elker erinnert sich an die spannenden Jahre im Verein an der Seite ihrer Vorstandskolleginnen Christine Engel und Monika Rheinländer, auch wenn die Ausgangslage alles andere als hoffnungsvoll war. „Es gab allein 1996 und 1997 elf behinderte Kinder, die schulpflichtig wurden”, berichtet sie: „Ohne integrativ arbeitende Grundschulen hätten sie morgens um 7.20 Uhr von einem Behindertenbus abgeholt und in eine der sonderpädagogischen Grundschulen im Kreis gebracht werden müssen – mit der Heimfahrt erst am Nachmittag.“ Nach einem Zehn- Stunden-Tag, so argumentierten die Vereinsmitglieder damals, wäre auch ein nicht behindertes Kind kaum in der Lage, mit Freunden der Nachbarschaft zu spielen. Außerdem entwickelten sich bei der schulischen Unterbringung auswärts auch alle sozialen Kontakte in weit entfernten Städten.
Christine Engel machte sich in Interviews damals öffentlich für eine Veränderung stark. Behauptungen, ein geistig behindertes Kind könne ja überhaupt nicht die Lernziele der Grundschule erreichen, konterte sie mit dem Argument: „Das ist ja auch gar nicht das Ziel. Vorrangig geht es schlicht darum, dass die Kinder in ihrem gewohnten Umfeld aufwachsen.“
Neben Info-Veranstaltungen ließen sich die Vereinsmitglieder auch diesmal wieder besondere Aktionen einfallen. Sie baten hochrangige Stadtvertreter und Ratspolitiker beispielsweise zu separaten Fototerminen, bei denen die jeweilige Person inmitten der Vereinsmitglieder mit behinderten und nicht behinderten Kindern aufgenommen wurden. Steter Tropfen höhlt den Stein: Am Ende wurde die erste integrative Schulklasse Haans an der Grundschule Steinkulle eingerichtet. Andere sollten folgen.
Die Reihe der Beispiele helfender Engel, die die Elkers allein entlang der Entwicklung ihrer Tochter erlebten – von der weiterführenden Schule über die Berufsqualifikation bis hin zur späteren Arbeit in einer Behindertenwerkstatt – könnte mühelos fortgesetzt werden.
Und das alljährliche Straßenfest zur Finanzierung der Vereinsarbeit hat weit über die Nachbarschafts-Grenzen hinaus Spuren hinterlassen. Jede Menge Haaner Institutionen und Gruppen beteiligten sich daran, die Feier zu einem Erfolg zu machen. Das Bier, das dabei ausgeschenkt wurde, stellte übrigens die Düsseldorfer Traditionsbrauerei Uerige zur Verfügung – kostenfrei. Ein Telefonat zwischen Elke Zerhusen-Elker und Brauereichef Schnitzler machte es möglich.
Als Kommunalpolitiker engagieren sich die Elkers für ihre Mitmenschen – sie bei der GAL, er zunächst bei der SPD und heute ebenfalls bei der GAL. Auf diese Weise wollen sie die Unterstützung, die sie so oft erfahren haben, ein Stück weit zurückgeben. In dieser speziellen Corona-Weihnacht gehen die Gedanken der Familie aber sicher auch ein bisschen in die bewegten Zeiten ihrer Vergangenheit zurück. Und jeder einzelne Engel, der dabei eine Rolle gespielt hat, kann sich sicher sein: „Wir sind einfach dankbar, dass wir so viel Hilfe bekommen haben.“