Impfpflicht Allgemeine Impfpflicht – das Pro und Kontra
WUPPERTAL · Kaum ein Thema ist derzeit so umstritten. Was spricht gegen, was spricht für eine Impfpflicht. Und welche Alternativen gibt es?
Österreich will zum 1. Februar eine allgemeine Impfpflicht in Kraft setzen. Und auch in Deutschland wird im Zusammenhang mit der Pandemie kaum ein Thema so kontrovers diskutiert wie eine solche allgemeine Impfpflicht, über die der Bundestag demnächst debattieren und jenseits von Fraktionszwängen abstimmen will. Hintergrund: Die Immunisierung reicht nicht aus. Der Anteil der vollständig Geimpften liegt in Deutschland derzeit bei 72,7 Prozent. Eine Auffrischungsimpfung haben bislang 47,1 Prozent.
Nach einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa befürworten 60 Prozent der Befragten eine allgemeine Impfpflicht, 33 Prozent sind dagegen. Keine Angabe dazu machten sieben Prozent. Hier ein Überblick über die wichtigsten Argumente Kontra und Pro allgemeine Impfpflicht, einen Mittelweg und alternative Ansätze, um zu einer höheren Impfquote zu kommen.
Argumente gegen eine
allgemeine Impfpflicht
Körperlicher Eingriff: Die Impfung ist ein Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Auch wenn Nebenwirkungen selten sind, so gibt es sie doch. Da darf der Staat die Menschen angesichts der von diesen empfundenen Sorgen nicht zwingen, ein entsprechendes Risiko für ihre eigene Gesundheit einzugehen.
Nebenwirkungen: Es wird nicht bei einer einmaligen Impfung bleiben. Es werden alle paar Monate immer weitere Auffrischungsimpfungen notwendig sein, für die dann auch die Impfpflicht gilt. Mit zunehmender Zahl der regelmäßig notwendigen Auffrischungsimpfungen wird es auch immer wieder Fälle geben, in denen es dann doch zu schweren Nebenwirkungen kommt. Dies wird die Diskussion um die staatlich verordnete Impfung gerade nicht befrieden, sondern immer wieder anheizen.
Wortbruch: Zu Beginn der Pandemie haben führende Politiker beteuert, es werde keine Impfpflicht geben. Das damit geweckte Vertrauen würde enttäuscht, wenn jetzt das Gegenteil beschlossen wird.
Impfwirkung: Die Wirkung der Impfung ist nicht dauerhaft und auch nicht effektiv. Das zeigt sich daran, dass sich auch Geimpfte in großer Zahl infizieren. Am Beispiel Bremen wird das deutlich: Obwohl das Land als Musterknabe bei den Impfungen galt, hat es nun die bundesweit höchste Wocheninzidenz: knapp 1400 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern in sieben Tagen (Bundesdurchschnitt: 528). Das Argument der Fremdschutzwirkung, die eine Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden soll, greift also gar nicht, wenn auch Geimpfte sich infizieren und dann andere anstecken.
Verhältnismäßigkeit: Warum sollen sich alle Menschen impfen lassen, wenn doch insbesondere Ältere und Vorerkrankte gefährdet sind? Die Intensivpatienten sind in der Mehrzahl über 60 Jahre alt. Für die meisten Menschen ist eine Infektion nicht lebensbedrohlich, insbesondere gilt das für die aktuelle Omikron-Variante. Angesichts dessen ist eine Impfpflicht für alle nicht verhältnismäßig. Es gibt andere Mittel, die Menschen vor Infektionen zu schützen: Test und/oder 2G- oder 3G-Kontrollen. Außerdem können Medikamente, frühzeitig eingenommen, vor schwerem Krankheitsverlauf schützen.
Durchsetzung: Auch wenn von Befürwortern der Impfpflicht betont wird, dass es keinen Impfzwang geben soll, so ist doch fraglich, wie eine Impfpflicht durchgesetzt werden soll. Geldbußen müssten vollstreckt werden, im Zweifel durch Erzwingungshaft. Das wird zu vielen Verfahren führen, die die Verwaltung und die Justiz stark belasten.
Polarisierung: Eine Impfpflicht kann zu einer weiteren Radikalisierung von Impfgegnern führen, zu einer stärkeren Polarisierung der Gesellschaft. Auch werden Impfverweigerer mit anderen Mitteln gegensteuern, etwa dem Fälschen von Impfpässen.
Zu spät: Die Impfpflicht käme zu spät: Omikron sorgt doch jetzt schon mit den explodierenden Infektionszahlen für eine Immunität der Gesellschaft. Statt hierzulande die Menschen immer wieder zu impfen, sollte man den Impfstoff den Impfwilligen in unterversorgten Weltregionen überlassen.
Argumente für eine
allgemeine Impfpflicht
Überlastetes Gesundheitswesen: Durch die Impfung werden schwere Verläufe der Krankheit verhindert. Auch wenn man nicht jeden Einzelnen zu seinem individuellen (Gesundheits-)Glück zwingen darf, so verhindert doch eine Verringerung der Zahl schwerer Verläufe eine Überlastung der Krankenhäuser. Die drohende Überlastung des Gesundheitswesens kann nicht nur zu dem Dilemma führen, dass das Gesundheitspersonal entscheiden muss, wen es rettet und wen nicht (Triage). Schon jetzt führen die Engpässe dazu, dass andere notwendige medizinische Behandlungen verschoben werden oder ausfallen.
Opfer der Pandemie: Die davon unmittelbar in ihrer Gesundheit Betroffenen sind nur ein Teil der Menschen, deren Rechte beeinträchtigt werden – dadurch, dass ein kleinerer Teil der Gesellschaft auf seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit beharrt. Die Freiheitsrechte aller sind seit Monaten eingeschränkt. Arbeitsplätze gehen verloren, Unternehmen geraten in wirtschaftliche Schieflage, der Staat verschuldet sich immens, um die Notlagen abzumildern. Studenten sehen keine Hörsäle, Schüler mussten und müssen vielleicht bald wieder in den Distanzunterricht. Die psychischen Schäden sozialer Distanz sind kaum absehbar. Die Freiheit der Vielen wird durch das Reklamieren der Wenigen auf Selbstbestimmung eingeschränkt.
Schutzwirkung: Die Impfung kann verhindern, dass es weitere gefährlichere Mutationen des Virus gibt. Eben dafür muss man aber auch durch eine Impfpflicht gewappnet sein. Auch wenn diese für die derzeitige Situation zu spät kommt, so kann sie doch im nächsten Herbst Schutzwirkung entfalten.
Wirkungen und Nebenwirkungen: Die Impfung ist nur ein geringer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, Nebenwirkungen sind selten. Und im Vergleich zu den durch eine Infektion eintretenden Folgen, auch möglichen Langzeitfolgen, sind sie das geringere Übel. Dass die Impfung selbst Langzeitfolgen hat, ist nicht schlüssig, da die Impfstoffe nur für kurze Zeit im Körper verbleiben. Geimpfte reagieren mit verstärkter Immunantwort auf das Virus. Und wenn sie sich infizieren, bewahrt das nicht nur sie selbst meist vor einer schweren Erkrankung. Durch die geringere Verweildauer des Virus im Körper sind sie auch nicht so stark ansteckend. Damit verringert sich auch die Ausbreitung und die Gelegenheit für neue Virusmutationen.
Solidarität: Es ist eine Frage der Solidarität aller, durch eine Impfung ältere und Vorerkrankte zu schützen. Und ebenso solche Menschen, die immungeschwächt sind oder aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden sollten.
Ausweg: Eine Impfpflicht könnte auch helfen, die Polarisierung in der Gesellschaft zu vermindern. Menschen, die in einem impfskeptischen Umfeld leben und sich infolge eines entsprechenden Erwartungsdrucks bisher nicht haben impfen lassen, könnten nun gesichtswahrend sagen: Ich muss ja jetzt, ich kann nicht anders.
Ein Mittelweg und
Alternativen zur Impfpflicht
Impfpflicht für Ältere: Bei älteren Infizierten ist die Zahl der schweren Krankheitsverläufe deutlich überdurchschnittlich. Also tragen sie wegen ihrer höheren Hospitalisierungsrate überproportional zur Belastung des Gesundheitswesens bei. Da liegt es nahe, dass sich eine allgemeine Impfpflicht auf die über 50-Jährigen oder die über 60-Jährigen beschränken wird. Die Jüngeren haben sich lange Zeit durch Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit mit den Älteren und zu deren Schutz solidarisch erklärt. Auch wenn diese Solidarität nicht immer eine freiwillige war, ließe sich argumentieren, dass die Jüngeren nun im Gegenzug von den Älteren erwarten können, sich impfen zu lassen und dass der Gesetzgeber sie dazu drängt.
Schmutzige Impfung: Denkbar ist freilich auch, dass der Gesetzgeber sich aus anderen Gründen gegen eine Impfpflicht entscheidet. Zum Beispiel, weil Omikron Tatsachen schafft und so viele Menschen infiziert werden, dass sich eine Impfung erübrigt. Ein Gedanke, der freilich nur funktioniert, wenn dies dann auch wirklich zu einer Immunisierung führt, die auch gegen neue Varianten des Virus schützt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht eine solche „schmutzige Impfung“ skeptisch. Omikron ersetze eine Impfung nicht, sagt er: Der Ungeimpfte, der jetzt eine Omikron-Infektion bekomme, werde im Herbst gegen andere Varianten wenig Schutz haben.
Anreize: Auch dürfte im Rahmen der Debatte über eine Impfpflicht noch eine Rolle spielen, ob das Ziel nicht mit milderen Mitteln erreicht werden kann. Positive Anreize könnten Prämien sein. Oder man wählt den Weg der negativen Anreize: Auch wenn es nicht die ganz harte Keule sein muss, dass Ungeimpfte bei der Behandlung im Krankenhaus hintanstehen müssen. Es ließe sich ja auch regeln, dass sie die Behandlung aus eigener Tasche bezahlen müssen. Oder dass sei einen höheren Krankenkassenbeitrag bezahlen.