Herr Brückner, Sie sind im Oktober 80 geworden. Wenn Sie in Ihr Werk hineinhören, woran erinnern Sie sich am liebsten, und was würden Sie heute anders angehen?
Interview mit Christian Brückner „Ich bin milder mit mir geworden“
Düsseldorf · Der Rezitator und Synchronsprecher liest am 14. Januar im Robert-Schumann-Saal. Er widmet sich Texten von James Baldwin.
Seine Stimme ist sein Markenzeichen. Doch Christian Brückner: synchronisiert nicht nur Hollywoodstars wie Robert De Niro, er ist auch Rezitator. Im Januar ist der 80-Jährige gleich mit zwei Klassikern in unserer Region unterwegs. Warum er ungekürzte Literaturfassungen mag, verriet er im Gespräch.
Brückner: Das war ein seltsamer Geburtstag, weil ich mich vorher um Geburtstage nie gekümmert habe. Plötzlich war da der Gedanke, alt zu sein. Seitdem habe ich in einige frühe Produktionen reingehört, um festzustellen, ob sie noch Bestand haben. Im Augenblick der Produktion bin ich immer sehr selbstkritisch, und vieles, was aufgenommen wurde, hätte ich am liebsten weggeworfen. Ich bin milder mit mir geworden, weil ich plötzlich Abstand zu den Aufnahmen habe. Ich muss zugeben, es hat mich nicht unzufrieden gemacht.
Wie sehr hat sich der Umgang mit Literatur und Rezitation im Rundfunk und den Verlagen verändert?
Brückner: Sie führen mich mit Ihrer Frage auf ein schlechtes Gleis, weil Sie in mir den Unmut weckt, wie der Rundfunk und dessen Kulturprogramme mit Literatur umgehen. Die Zusammenlegungen vieler Ressorts führen zu einer Beliebigkeit und einem Gleichklang, den ich mir gar nicht mehr anhören mag. Ich möchte nicht unfair klingen, weil ich natürlich nicht objektiv in dieser Frage sein kann. Der Qualitätsverlust ist eindeutig erkennbar und nicht unerheblich. Er geht leider auch einher mit einer generellen Sprachveränderung.
Sie haben bei den Produktionen Ihres eigenen Hörbuchverlages ungekürzte Fassungen eingelesen. Warum war Ihnen das immer wichtig?
Brückner: Weil ich in dem Augenblick, als ich dem Text zum ersten Mal begegnet bin, das Gefühl hatte, dass ich dieses Stück Literatur für andere hörbar machen möchte. Nehmen wir zum Beispiel „Moby Dick“. Ich habe den Anspruch, ihn genau so rauszulassen, wie ihn der Dichter Melville hinterlassen hat. Da muss ich nicht oberlehrerhaft irgendwas korrigieren. Natürlich kann ich den Versuch machen, das Werk zu kürzen. Aber das Buch gewinnt seine Wichtigkeit gerade durch seine vom Autor festgelegte Originallänge.
Wann hat Sie zuletzt jemand an Ihrer Stimme erkannt?
Brückner: Das passiert mir tatsächlich täglich. Was mich sehr gefreut hat, war der Satz „Mit ihnen bin ich groß geworden“, den mir kürzlich jemand gesagt hat. Ist das nicht wunderbar?
Wer entscheidet eigentlich, welcher Sprecher einen Schauspieler synchronisiert?
Brückner: Das ist verschieden. Als Filme noch kein so globales Phänomen waren und zeitgleich in mehreren Ländern herauskamen, machten das die Synchronproduktionen, die in Berlin und Hamburg saßen. Sie hatten die Verantwortung für die Besetzung der deutschen Stimmen. Es war damals noch ein sehr begrenzter Kreis an Kollegen, die das machten. Heute geschieht die Auswahl bei den großen Blockbuster-Produktionen durch die Filmstudios in Hollywood und New York.
Fragen Sie sich manchmal bei der Synchronisation, wieso ein Regisseur diesen Film bloß gemacht hat?
Brückner: Na ja, da waren schon ein paar wirklich doofe Filme dabei. Aber ich habe mich immer bemüht, jedem Schauspieler zu seiner Rolle eine variierende Stimme zu geben. Inwieweit mir das gelungen ist, müssen andere entscheiden.
Was hat Sie und Ihre Frau bewogen, 2022 die Produktionen für Ihren Hörbuchverlag Parlando einzustellen?
Brückner: Die gemeinsame Auseinandersetzung mit den Texten war eine Arbeit, die sehr viele Früchte getragen hat. Wir haben uns gut ergänzt, auch wenn wir uns nicht immer einig waren. Es ist schade, dass wir aufgehört haben. Aber ich muss zugeben, dass der Verlag unser Leben aufgefressen hat, er ließ uns nicht viel Zeit für anderes. Deshalb ist es okay, dass es vorbei ist. Zumal sich die Arbeitsweise so sehr verändert hat. Der Zeitdruck für eine Produktion stieg immer mehr an, und darunter muss zwangsläufig die Qualität leiden. Heute schreien alle nur nach Bestsellern und Fantasy-Romanen. Da mussten wir mit unserem Programm immer mehr gegensteuern, was am Ende zu viel Kraft gekostet hat.
Genießen Sie den Freiraum, den Sie dadurch nun haben?
Brückner: Das war eine irrsinnig gute Zeit, auch wenn wir kämpfen mussten. Denn wir hatten eine Freiheit, wie man sie nur selten hat. Jetzt konzentriere ich mich auf einzelne Lesungen mit verschiedenen Programmen. Wie meine Fassung von „Moby Dick“ mit Begleitung des Percussion-Quartetts Elbtonal in der Philharmonie Berlin im März 2024. Das sehe ich als großes Geschenk.