Das zweite binnen eines Jahres.
INTERVIEW Die Düsseldorfer Rapper der Antilopen Gang sprechen über Verschwörungstheorien und das Musiker-Dasein in Corona-Zeiten Kreativer Schub im Ausnahmezustand
Herr Podkowik, der Lockdown hat alle getroffen. Künstler aber noch einmal besonders hart. Viele mussten sich alternative Wege überlegen, um ihrer Beschäftigung weiter nachzugehen. Sie haben gleich mal ein ganzes Album aufgenommen.
Kolja Podkowik: So ist es. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht. Auf die wegen Corona abgebrochene Tour zu unserem eigentlichen aktuellen Album wäre ja noch ein Festivalsommer gefolgt. Aber als uns dann klar geworden war, dass all das nichts mehr geben würde, hatten wir schnell einen kreativen Schub.
Ihr Album davor, herausgekommen zu Beginn des Jahrs, heißt „Abbruch, Abbruch“. Sehr treffend.
Podkowik: Ja, so ist es. Das Album hat seinen Titel auf jeden Fall erfüllt.
Wie nimmt man denn in der Zeit eingeschränkter Kontakte Songs auf? Werden Files rundgeschickt – oder ist die Antilopen Gang per se Familie und man trifft sich weiterhin?
Podkowik: Nein. Wir haben uns drei Monate lang gar nicht mehr gesehen. Wir haben untereinander und mit unseren Produzenten tatsächlich nur übers Internet Kontakt gehalten. Es gab viele Zoom-Konferenzen. Aber: Das war alles gar nicht so neu für uns. Das haben wir früher auch schon so gemacht. Zu dritt getroffen haben wir uns erst im Juni wieder. Das erste Mal nach dem Abbruch der Tournee. Und auch nur einmal. Ich habe während der ganzen Produktionsphase Danger Dan nur an einem Tag für ein paar Stunden gesehen. Der Großteil der Aufnahmen lief so ab, dass entweder Panik Panzer und ich zu zweit im Studio waren oder Panik Panzer und Danger Dan.
Die neue Platte trägt den Namen „Adrenochrom“. Das ist ein Stoffwechselprodukt des Adrenalins, das von Verschwörungstheoretikern gerne genannt als Droge, die aus Kindern gewonnen und von den Eliten der Welt eingesetzt wird, um die Menschheit zu manipulieren. Ein starker Titel.
Podkowik: Ja, spätestens seit im Internet diese Videos vom weinenden Xavier Naidoo und überhaupt all diese Verschwörungstheorien aufgetaucht sind, hat Adrenochrom ja auch diesen für die Öffentlichkeit starken Bezug zur Corona-Krise. Der Titel passt perfekt, den konnten wir nicht liegen lassen. Zumal er auch mit einem „A“ beginnt – wie alle unsere bisherigen Alben.
Passend dazu das Cover: ein Kinderbild…
Podkowik: Ja. Von Panik Panzer. Da werden wieder einige Tränen fließen bei Leuten, die diesen Quatsch glauben.
Sie erwähnen Xavier Naidoo. Das ist – wenn auch musikalisch und ideologisch weit entfernt von Ihnen – ein Musikerkollege. Haben Musiker nochmal einen anderen, genaueren Blick darauf, wenn jemand aus ihrem Kreis plötzlich derlei Dinge von sich gibt?
Podkowik: Ich habe nicht den Eindruck, dass Musiker durch besonders scharfsinnige Analysen auffallen. Auf dem neuen Album sage ich: „Klar, Xavier Naidoo hat ein Rad ab – aber schon seit 20 Jahren.“ Das ist wirklich keine neue Erkenntnis und dafür muss man auch nicht sonderlich clever sein. Ich finde es heuchlerisch, dass sich plötzlich viele Musikerkollegen überrascht gegeben haben und Xavier Nadioo, den sie kurz vorher noch verteidigten, zur persona no grata machten. Sein Antisemitismus und seine wirren Verschwörungsideologien sind seit vielen Jahren bekannt.
Die Antilopen Gang trägt die Bezeichnung „Gang“ schon im Namen – und lebt dieses Image auch seit jeher. Hat Corona dieses Gang-Ding als Abschottung nach außen nochmal verstärkt?
Podkowik: Nein. Wir hatten während Corona zwar ständig Kontakt – aber das war vorher auch schon immer so gewesen. Ich glaube nicht, dass in den vergangenen Jahren mal eine Woche vergangen ist, in der wir nichts miteinander zu tun hatten. Wir sind immerzu in Kontakt. Unabhängig von Corona.
Das ist schön, bedeutet es doch: Sie gehen sich offenbar nicht auf die Nerven.
Podkowik: Das habe ich nicht gesagt! Das Eine schließt das Andere ja nicht aus. Gerade wenn man die ganze Zeit zusammenhängt und sich sehr gut kennt, dann weiß man schon genau, wie man den anderen auf die Nerven geht. Und das nutzt man im Gefecht vielleicht auch mal aus. Zudem wird natürlich auch häufig diskutiert. Ich bin manchmal schon neidisch auf Bands, bei denen es harmonisch zugeht. Und bei denen es einen klaren Chef gibt. Wir sind nämlich basisdemokratisch strukturiert. Das bedeutet: Jeder hat gleichviel zu sagen. Und jeder hat ein Veto-Recht. Das ist nicht immer der Stimmung förderlich.
Das könnte man als Anspielung auf Die Toten Hosen werten, bei deren Label Sie untergekommen sind und zu deren Düsseldorfer Musikerfamilie Sie seit einiger Zeit gehören: Die leben ihr Alte-Freunde-Image – und haben mit Campino trotzdem offenbar einen klaren Chef.
Podkowik: Man munkelt, dass er keine unwichtige Rolle im Bandgefüge hat… Und bei den Hosen ist es tatsächlich so, dass sie ein Jahr auf Tour gehen – und danach noch gemeinsam in den Urlaub fahren. Auch nach 40 Jahren der Bandexistenz noch. Die Antilopen Gang gibt es nichtmal annähernd so lange – und ich könnte mir dennoch nicht vorstellen, auch noch mit den anderen Pappnasen in Urlaub zu fahren. Ich will dann schon mal meine Ruhe haben.
Waren Sie eigentlich auch einer von denen, die während der Corona-Krise Dinge gehortet und den Supermarkt leergekauft haben?
Podkowik: Irgendwann waren wir, glaube ich, alle mal auf der Jagd nach Klopapier. Es wurde ja immer gesagt, dass die Versorgung mit derlei Dingen gesichert sei. Aber sie kann noch so sehr theoretisch gewährleistet sein: Wenn der Supermarkt nichts mehr hat und Du auf der Toilette sitzt und kein Papier mehr zur Hand hast, dann hast du ein Problem. Insofern war das bei mir nicht anders. Und ich kann auch nicht leugnen, dass ich am Anfang mal ein paar Dosen mehr Ravioli gekauft habe – einfach um nicht ständig rausgehen zu müssen. Aber irgendwann hat man gemerkt, dass das Leben weitergeht und man auch heil aus der Sache kommen kann, wenn man zwischendurch mal auf die Straße geht.
Haben Sie in der Zeit der Kontaktsperre daheim mehr Musik gehört als vorher – und wenn ja, welche?
Podkowik: Ja. Ich hatte eine exzessive Stones-Phase – und habe mir alle ihre Alben angehört, vor allem auch die neueren Platten mal ein bisschen genauer. Da sind bis heute immer wieder sensationelle Songs drauf. Ich habe auch einige Bücher zum Thema gelesen und Live-DVDs geschaut. Mich faszinieren die Stones als eine Konstante dieser Welt, die es seit Jahrzehnten nicht mehr nötig hätten, weiterzumachen, aber einfach nicht anders können. Keith Richards hat mal gesagt: Es gibt die Sonne, den Mond – und die Rolling Stones.