Protokoll von Simon Krivec Apotheker: „Ich schmeiße keinen Impfstoff weg!“
Krefeld · Apotheker Simon Krivec berichtet exklusiv, was er und seine Mitarbeiter bei ihren Impf-Einsätzen erleben. Seine Gefühle schwanken dabei zwischen Müdigkeit, Dankbarkeit und Frust.
Seit sechs Wochen sind wir nun mit der Adler Apotheke in Moers täglich im Impf-Einsatz. Das folgende Protokoll ist dabei nur die Spitze des Eisberges von dem, was wir seit mehr als sechs Wochen täglich erleben. Am Mittwoch, 10. Februar, waren wir in drei Altenheimen im Einsatz und darüber hinaus im Impfzentrum in Wesel gefordert.
Vorweg: Seit dem 9. Februar ist nun vom Land NRW auch das Entnehmen der siebten Impfdosis pro Biontech-Fläschchen offiziell erlaubt worden. Vor drei Tagen hieß es noch von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), die Entnahme sei verboten! Den Auftrag, wo möglich, sieben Impfdosen zu entnehmen, haben meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit dem ersten Tag unseres Einsatzes, dem 27. Dezember 2020. Möglichen Impfstoff bei bekannter Knappheit vorsätzlich zu vernichten, kann ich mit meinem Berufsethos nicht vereinbaren. Gesetz bzw. Anordnung hin oder her!
Die Mitarbeiterinnen eilen von Heim zu Heim
So fährt Mitarbeiterin 1 am besagten Tag um 8.30 Uhr von Moers aus in Heim A im 15 km entfernten Kamp-Lintfort. Nach Beendigung der Arbeit um 10.30 Uhr fährt sie direkt und ohne Pause zu Heim B in Moers, trifft sich dort mit den ebenfalls herbei geeilten Mitarbeiterin 2, Mitarbeiterin 3 und mir, um weiteren Impfstoff aufzubereiten. Zwischen 11.30 und 14.30 Uhr werden knapp 300 Impfdosen hergestellt. Parallel dazu sind Mitarbeiterin 4 und Mitarbeiterin 5 um 11.00 Uhr zu Heim C (ebenfalls in Moers) gefahren und bis 14.00 Uhr vor Ort im Einsatz.
Darüber hinaus brechen Mitarbeiterin 6 und Mitarbeiter 7 um kurz nach 11.30 Uhr ins mehr als 40 km entfernte Impfzentrum in Wesel auf, um von 13.00 bis 20.00 Uhr vor Ort die Impfdosen zu fertigen. Eine Rückkehr nach Moers vor 21.00 Uhr ist bei den derzeitigen Straßenverhältnissen utopisch.
In zwei Heimen sind viele Impffläschchen übrig
In den Heimen B und C sind aufgrund der aufgezogenen 7. Impfdosis am Ende viele Fläschchen übrig. Um einen Verwurf zu vermeiden, biete ich mich an, diese persönlich ins Impfzentrum zu fahren, um dort weitere Personen zu impfen. Unterwegs erreicht mich ein Anruf aus dem Impfzentrum mit der Bitte, ob ich nicht spontan auch Heim D in Rheinberg anfahren kann. Weitere Impfstoffe sind abzuholen und nach Wesel zu bringen. Insgesamt transportiere ich schlussendlich 18 Fläschchen unter Einhaltung der Kühlkette (ich habe zwischendurch noch einen Schlenker zu meiner Apotheke in Moers gemacht und eine Kühlbox geholt) nach Wesel, wo ich um 16.45 Uhr ankomme.
Vor Ort zeigt sich, dass eine große Schlange an Menschen vor dem Impfzentrum wartet, da parallel auch erstmals der Impfstoff der Firma AstraZeneca an Rettungsdienste, ambulante Pflegedienste und andere Personenkreise der 1. Priorität verimpft wird. Für das Aufziehen des Astra-Zeneca-Impfstoffes und die Impfung sind die Ärzte zuständig.
Einmal vor Ort helfe ich spontan noch mit, den Impfstoff aufzuziehen, die Ärzte zu entlasten und somit die Impfungen zu beschleunigen. Zurück in Moers werde ich am Ende um 19.30 Uhr sein.
Am Ende des Tages wird Bilanz gezogen
Zeit Bilanz zu ziehen: Insgesamt sind an dem Tag von unserem Team nicht weniger als acht Apotheker und PTAs (inklusiver mir) zusammen 46 Stunden im Einsatz gewesen und haben fast 300 km mit fünf Pkw zurück gelegt. Nach den Verträgen zwischen dem Gesundheitsministerium in NRW und der Apothekerkammer Nordrhein können davon de facto 28 Stunden abgerechnet werden! Die Tatsache, dass ich als Apothekeninhaber am Ende allein an einem Tag fast 1000 Euro aus eigener Tasche „drauf“ gelegt habe ist geschenkt bei dem guten Gefühl, mehr als 120 Menschen eine Impfung ermöglicht zu haben, die erst in ferner Zukunft dran gewesen wären, und einen weiteren Schritt aus der Pandemie hinaus getan zu haben.
Was fehlt: Wertschätzung für die, die „den Laden am Laufen halten“
Was mich viel mehr bedrückt, ist die fehlende Wertschätzung von Bund und Land für all diejenigen, die sich vor Ort in den mobilen Teams und im Impfzentrum seit Wochen aufopfern, um „den Laden am Laufen zu halten“. Ohne diesen Pragmatismus und Idealismus vor Ort, wären wir noch weit schlimmer dran! Daher gebührt mein Dank all meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die einerseits in den Impfteams oder dem Impfzentrum helfen, aber vor allem auch denjenigen, die uns in der Apotheke den Rücken für diese Arbeit frei halten und dadurch selbst große Mehrarbeit leisten.
Ebenso danken muss ich den Leitern des Impfzentrums, dem Krisenstab des Kreises, den mehr als engagierten Mitarbeitern des DRK und der Malteser sowie den leitenden und impfenden Ärzten für deren unbürokratische und problemorientierte Arbeitsweise und Zusammenarbeit. Den Entscheidern in Land und Bund, Apothekerkammer und KVNO empfehle ich jedoch mehr Weitsicht, ein größeres Problembewusstsein für die Sorgen vor Ort und vor allem mehr Wertschätzung für die geleistete Arbeit.
Von Priorisierung abgewichen, damit Impfstoff nicht übrig bleibt
Nur am Rande: In den letzten sechs Wochen hätte man mich (wie manchem Kollegen tatsächlich passiert!) noch bestrafen oder suspendieren können, weil ich – wo immer möglich – pragmatisch gehandelt habe und angeordnet habe, das sieben Impfdosen aufgezogen werden. Und ja, auch wir sind wegen der geringen Haltbarkeit der Spritzen im Notfall von der Priorisierung abgewichen und haben z.B. Polizisten, ältere Angehörige und im Zweifel jeden, der in der Nähe war, in den Heimen mitgeimpft. Das gebe ich zu und dazu stehe ich! Denn ich schmeiße keinen Impfstoff weg! Andernorts wird eher Impfstoff gernichtet, um keine öffentliche „Neiddebatte“ zu riskieren, wenn nachrangige Personenkreise mitgeimpft werden. Das Ganze verstehen? Muss ich nicht!
In diesem Sinne, weiterhin gutes Durchhaltevermögen und Gelingen. Gemeinsam schaffen wir das!