Artensterben Das letzte Berg-Anoa der Welt lebt in Krefeld

Krefeld · Von dem aussterbenden Bergwildrind Berg-Anoa lebt vermutlich nur noch ein Tier, und das im Krefelder Zoo. 

Der Berg-Anoa-Bulle Idris ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen das letzte Wildrind seiner früher in Indonesien lebenden Art.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Zoobesucher müssen schon genau hinschauen, um Idris in seinem Gehege neben den Kängurus zu entdecken. Der 21 Jahre alte Berg-Anoabulle macht sich rar. Nicht nur physisch. „Nach heutigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand ist dieses Berg-Anoa im Krefelder Zoo das letzte seiner Art auf der Welt“, sagt Zoodirektor Dr. Wolfgang Dreßen mit Bedauern. So unscheinbar dieses nur 70 Zentimeter große Rind ist, ist es dadurch eine zoologische Attraktion.

Ein Blick in die Zootierliste bestätigt die Aussage. Der Tipp dazu kommt von Volker Homes, Geschäftsführer des Verbands der Zoologischen Gärten (VdZ). In der privat, aber akribisch geführten Zooliste sind alle Tierhaltungen in deutschen und europäischen Zoos aufgelistet sowie weitreichendere Informationen zu den entsprechenden Tierarten. Der Berg-Anoa ist nur noch im Krefelder Zoo beheimatet. „Ob es im asiatischen Raum noch welche gibt, ist nicht bekannt“, sagt Homes.

Durch Abholzen des Regenwalds den Lebensraum zerstört

Die Tiere stammen aus Indonesien. Auf der Insel Sulawesi und der benachbarten kleineren Insel Buton lebten früher beide Arten: Die seit Jahren auf der Roten Liste stehenden und vom Aussterben bedrohten Berg-Anoas (Bubalus quarlesi) und die inzwischen ebenfalls gefährdeten Flachland-Anoas. Dreßen hat die Inseln vor zwei Jahren besucht. Durch das Abholzen von 89 Prozent des Regenwaldes und der Anlage von Palmölplantagen ist der Lebensraum laut Dreßen praktisch komplett planiert. Außerdem sei die Wildrindart beliebtes Jagdwild und lande nach Sichtung umgehend im Kopftopf.

Obwohl auf der Seite von Peter Dollingers Zoo-Tierlexikon laut Roter Liste noch weniger als 2500 Tiere in freier Wildbahn und in Zoos aufgelistet sind, sieht die Realität heute im Jahr 2019 laut Dreßen anders aus.

Bei seinem Besuch auf Sulawesi hat er die wenigen geschützten Nationalparks besucht. „Berg-Anoas sind dort schon ewig nicht mehr gesichtet worden und auch den Flachland-Anoas droht das gleiche Schicksal“, sagt Dreßen. „Noch gibt es kleine Populationen des Flachland-Anoas, die genetisch überlebensfähig wären. Doch sie leben getrennt voneinander in weit entfernten Habitaten. Es mag sein, dass dort auch noch einige Berg-Anoas leben Doch Beweise oder Spuren von ihnen wie Kotreste oder das Gebein verendeter Tiere gebe es nicht. Deshalb ist Idris vermutlich das letzte Tier seiner Art auf Erden .

Wegen genetischer Defekte wurde die Zucht in Krefeld eingestellt

Der Bulle ist der letzte Nachwuchs des Krefelder Zuchtpaars Jupp und Ike. Sie kamen 1975 und 1977 nach Krefeld und waren eines der erfolgreichsten Zuchtpaare der Welt. 15 Jungtiere gingen auf sie zurück. Die genetische Verwandschaft war allerdings so eng, dass eine weitere Zucht unmöglich war. In der folgenden Generation kamen alle Kälber mit schweren Fehlbildungen auf die Welt.
„Das Wissen über Berg-Anoas stammt aus Zoostudien, in der freien Wildbahn sind sie nie untersucht worden“, sagt Dreßen. Erst in den 1990er-Jahren sei diese Tierart genetisch bestimmt worden, die zuvor noch den größeren Flachland-Anoas zugerechnet worden ist.

20 bis 30 Jahre alt können die kleinen Wiederkäuer werden. Für den Bau des neuen Schimpansen-Gartens wird Idris sein Gehege verlassen müssen. Denn die benachbarten Kängurus müssen wiederum ihren Platz räumen für die neue Schimpansen-Außenanlage. Wo das Berg-Anoa dann seine letzten Jahre verbringen wird, ob im Zoo oder in der Außenstation, ist noch nicht entschieden.

Die Frage, ob ein genetisches Klonen bei aussterbenden Tierarten sinnvoll sei, beantwortet der Zoodirektor sehr zurückhaltend. „Das hängt auch davon ab, ob ihr natürlicher Lebensraum noch vorhanden ist oder nicht.“ Im Falle des Berg-Anoas ist der durch das Abholzen des Regenwaldes schon verschwunden. „Man sollte deshalb die Energie lieber dort rein stecken, wo es noch gesunde Bestände gibt.“ Wenn Idris in absehbarer Zeit stirbt, wird es danach wohl kein Tier seiner Art mehr auf der Erde geben.