Ulle Schauws im Interview "Auch aus der Opposition heraus kann man etwas bewegen"
Ulle Schauws ist 2014 für die Grünen erstmals in den Bundestag eingezogen. Mit der WZ zieht sie Zwischenbilanz.
Krefeld. Opposition — das ist bei einer regierenden Großen Koalition zumindest rein köpfemäßig kein Zuckerschlecken. Das konnte auch Ulle Schauws erfahren, die 2014 erstmals für die Grünen in den Bundestag einzog. Die ganzen Themen, Ausschüsse und und Arbeitsgruppen müssen unter nur 63 Fraktionsmitgliedern aufgeteilt werden. Doch es macht ihr großen Spaß. Die Motivation sei eher noch gestiegen, sagt sie im WZ-Interview.
Frau Schauws, wie haben Sie die ersten Wochen als Neuling in Berlin erlebt?
Ulle Schauws: Ich bin eigentlich sehr schnell reingekommen. Nachdem klar war, dass es mit uns keine Koalition geben wird, konnten wir die Zeit der Verhandlungen zwischen CDU und SPD nutzen, um die fachpolitischen Zuständigkeiten zu klären und die Besetzung der Gremien und uns schon in die Themen einzuarbeiten. Zudem habe ich die Chance genutzt, mein Büro zu besetzen, habe sehr gute Mitarbeiter gesucht und eingestellt.
Wie sind Sie an Ihre Themen und Ausschüsse gekommen?
Schauws: Frauenpolitische Sprecherin wird man nicht automatisch, da gab es noch mehrere Kolleginnen, die sich dafür interessierten. Ich war mit dem Thema schon als Sprecherin im NRW-Landesvorstand der Grünen unterwegs. Zahlreiche Gespräche haben dann letztlich zum Erfolg geführt. Da wir nur 63 Abgeordnete in der Fraktion sind, müssen wir meist zwei Ausschüsse machen. Durch meinen beruflichen Background und die Erfahrung als Sachkundige Bürgerin im Krefelder Kulturausschuss passt das mit der Kulturpolitik fachlich gut. Unsere Fraktionsvorsitzende hat mich dann gebeten, das Amt der Sprecherin zu übernehmen. Das ist allerdings mit vielen Anfragen und Terminen verbunden.
Das klingt nach einer Menge Arbeit.
Schauws: Man muss beide Themen im Blick haben, auch wenn sie nicht immer so viel miteinander zu tun haben. Das ist eine große Herausforderung, aber mir macht das große Freude. Die Motivation ist eher noch gestiegen, weil man merkt, was man Gutes erreichen kann — auch aus der Opposition heraus.
Haben Sie ein Beispiel?
Schauws: Ich habe im Bundeskulturhaushalt eine Förderung für das Zentrum für verfolgte Künste, das im Museum Solingen liegt, beantragt. Beim zweiten Anlauf und nach vielen Gesprächen, konnte ich dafür eine Mehrheit bekommen. Das neue und in Deutschland einmalige Zentrum hatte zwei Sammlungen, die jetzt zusammengehalten und dort ausgestellt werden können. Das sind für mich zwei ganz wichtige Themen: Erinnerungskultur und die Rolle der Kultur für unsere Verständigung.
Warum ist Ihnen das so wichtig?
Schauws: Das Thema Flucht und Vertreibung spielt doch gerade jetzt in der Flüchtlingsfrage wieder eine zentrale Rolle. Dazu habe ich eine Kultur-Tour in NRW geplant. Der Auftakt ist diese Woche in Solingen mit einer Veranstaltung zusammen mit Sylvia Löhrmann, Schulministerin in NRW, und Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen in Berlin. Durch die Flüchtlinge hat das Thema so an Aktualität gewonnen. Eine der größten Herausforderungen, vor denen wir stehen, ist doch dieses gemeinsame „Wir“ zu gestalten.
Das ist nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln nicht einfacher geworden. Was sagen Sie als frauenpolitische Sprecherin zu dem Thema?
Schauws: Sexuelle Übergriffe sind Straftaten, da gibt es keine Diskussion. Man muss aber differenziert hinschauen, wie kulturelle Hintergründe da rein spielen. Aber das Phänomen sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist nicht neu. Das Thema Verschärfung des Sexualstrafrechts habe ich in 2014 schon vorangebracht. Zusammen mit unserer rechtspolitischen Sprecherin habe ich einen Gesetzentwurf vorgelegt, der klar sagt, dass ein „Nein“ ein „Nein“ sein muss. Das erfüllt der Entwurf des Justizministers in den Augen vieler Abgeordneter nicht. Diese Diskussion wird intensiv geführt, da bin ich mittendrin.
Wo sehen Sie Lösungsansätze für das Flüchtlingsthema?
Schauws: Wir müssen die Ursachen für die Flucht begreifen. Und wir können das nur gemeinsam lösen, denn die Herausforderung ist zu groß für Alleingänge. Das heißt, auch über die politischen und nationalen Grenzen hinweg und zusammen als EU. Wir Politiker müssen auch viel mehr aufzeigen, wo die Chance für uns alle liegen, mit den Menschen, die zu uns fliehen. Vor allem mit den vielen sehr jungen Menschen. Nicht naiv, sondern ehrlich. Genauso müssen wir aber die Ängste vieler Leute ernst nehmen. Ganz wichtig ist, endlich die sozialen Ungerechtigkeiten anzupacken — wie zum Beispiel mehr bezahlbaren Wohnraum. Mich beeindruckt die Bereitschaft von so vielen Menschen, den Flüchtlingen zu helfen. Diese Aufbruchstimmung ist doch der beste Garant, dass wir das bewältigt kriegen. Sorge bereitet mir hingegen die stärker werdende Zustimmung zu den rechten Parteien, nicht nur bei uns sondern auch in anderen europäischen Ländern. Wir müssen Wege finden, diese Rückwärtsgewandtheit zu stoppen.
Was konnten Sie für den Wahlkreis erreichen?
Schauws: Ich habe mich starkgemacht für die Bundesfördermittel zur Sanierung der Häuser Esters und Lange. Besonders gefreut habe ich mich, dass sich der Einsatz für Bundesmittel für die Krefelder Promenade gelohnt hat. Und das Jazz-Festival Moers ist unisono mit allen Abgeordneten hier aus unserem Wahlkreis verabschiedet worden. Ganz unmittelbar konnte ich kürzlich Flüchtlingen, die in der Krefelder Volkshochschule einen Sprachkurs besuchen, behilflich sein. Nach den sehr bewegenden und interessanten Gesprächen war eine lange To-do-Liste übriggeblieben.
Ich bin jetzt dabei, die dringenden Infos nachzuliefern. Zudem pflege ich natürlich Kontakt zu Verbänden, Kultureinrichtungen, aber auch sozialen Einrichtungen, Amnesty International oder dem schwul-lesbischen Jugendtreff „Together“. Ich bin in die Politik gegangen, um bestimmte Interessen zu vertreten. Für mehr Gerechtigkeit einzustehen ist für mich ein ganz zentraler Punkt.
Wie geht es in Berlin weiter?
Schauws: Ich möchte meine Arbeit fortsetzen, habe nach zwei Jahren so langsam einen Fundus, aus dem ich schöpfen kann. Und wenn die Wähler das zulassen, gerne auch über die Wahlperiode hinaus. Auf das Erreichte aufbauen - für den Wahlkreis, den linken Niederrhein und auch darüber hinaus.