Bürokratie: "Plötzlich bin ich ein Niemand"
Elf Jahre und zehn Monate wähnt sich Nailja Aslanova als Deutsche. Mit dem 16. Geburtstag entpuppt sich das jedoch als Irrtum. Doch eine Lösung zeichnet sich ab.
Krefeld. Ihr Berufsziel ist Kripo-Beamtin. „Denn ich möchte spannende Sachen machen und helfen“, begründet Nailja Aslanova ihren Berufswunsch. Doch die 16 Jahre alte Schülerin der Theodor-Heuss-Schule (Notendurchschnitt 1,8 auf dem Abschlusszeugnis der neunten Klasse) benötigt in einem spannenden Fall erst einmal selbst Hilfe. Und die muss von der Stadt kommen.
Seit gut einem halben Jahr ist die Tochter einer Spätaussiedlerin aus Kasachstan und eines Aserbeidschaners keine deutsche Staatsbürgerin mehr, für die sie sich elf Jahre und zehn Monate lang gehalten hatte. Ihr einziges gültiges Personaldokument ist derzeit der Schülerausweis.
Der Fehler ist offenbar 2002 im Rathaus von Blankenburg bei Wernigerode im Harz passiert. Damals war die fünfjährige Nailja, genannt Nele, mit ihrem Vater im Rahmen der Familienzusammenführung von Kasachstan nach Deutschland gekommen. Ihre Mutter Oxana Sitaruk war mit vier Verwandten knapp zwei Jahre früher eingetroffen. Nailja bekam sofort und anstandslos einen deutschen Kinderausweis. Obwohl sie in der Familienliste nicht aufgeführt war, die ihre Großmutter bereits Anfang der 90er Jahre bei der Deutschen Botschaft in der früheren kasachischen Hauptstadt Almaty eingereicht hatte. Denn damals war Nailja noch nicht geboren. Die Fünfjährige war lediglich im Reispass ihres Vaters eingetragen.
„Unser Ausreiseverfahren hat sich fast sieben Jahre lang hingezogen“, berichtet ihre Mutter. Sie lernte in dieser Zeit in der ehemaligen Sowjetrepublik den Aserbeischaner Irasat Kysy Aslanov kennen. Mit ihm ging sie in dessen Heimat und geriet in den Bürgerkrieg um Berg-Karabach. Ein Jahr nach Neles Geburt heiratete das Paar in Aserbeidschan. „Im Jahr 2000 rief meine Mutter an und teilte mit: ,Ihr könnt jetzt nach Deutschland reisen.“ Die junge Familie flog zurück nach Kasachstan, wo Vater und kleine Tochter bis zur Familienzusammenführung blieben. Mutter und vier weitere Verwandte landeten zunächst im Harz.
2005 zog die Familie nach Krefeld. Wieder bekam Nele anstandslos einen neuen deutschen Kinderausweis, am 10. Juni 2007 sogar einen deutschen Reisepass, der genug Platz bot für die Stempel bei Einreisen in Kasachstan und Aserbeidschan. Was der Mutter seltsam vorkam: In der Zeile, wo der Vorname ihrer Tochter hätte stehen müssen, fand sich der Name des Vaters wieder.
Als am 22. Februar 2013 ein neuer (und diesmal richtig ausgefüllter) Reisepass für die nun 16-Jährige beantragt wurde, fiel auf, dass Nailja die Voraussetzungen für eine deutsche Staatsbürgerschaft nicht erfüllte: Sie bekam für den abgelaufenen Pass keinen neuen. „Plötzlich bin ich ein Niemand“, stellt das sympathische Mädchen traurig fest. Selbst die kasachische Staatsbürgerschaft ist für sie praktisch unerreichbar.
„Um die zu bekommen, muss man innerhalb der ersten drei Lebensjahre angemeldet werden“, sagt Oxana Sitaruk. Was die Eltern aber im Hinblick auf die bevorstehende Familienzusammenführung in Deutschland unterließen.
Die letzte Hoffnung ist jetzt die Einbürgerung — ein Tipp übrigens von einem Mitarbeiter aus dem Fachbereich Ordnung. Den Antrag haben Mutter und Tochter am Donnerstag abgegeben — und trafen auf wohlwollende Sachbearbeiter. „Es ist alles im Sinne des Mädchens Erforderliche in die Wege geleitet worden“, teilte die Stadt am Freitag mit.
Die Voraussetzung für eine sogenannte Anspruchseinbürgerung seien erfüllt — ein rechtmäßiger Aufenthalt von acht Jahren im Inland. Es scheint, als könne Nailjas Berufswunsch nach dem angepeilten Abi in Erfüllung gehen.