Wenn die Tante nach England auswandert und sich in einem Vorort von London niederlässt, wo Rock und Pop noch viel früher als in Deutschland zum Alltag gehörten und ihm dann auch noch eine Gitarre schenkt – was bleibt einem sprach- und notenverliebten Jungen dann weiter übrig, als sich selbst musikalisch zu verwirklichen? Dass diese Frage rein rhetorisch gestellt ist, das versteht sich für Markus Gather von selbst. Die ersten Gehversuche waren holprig, wie er sich erinnert: „Zunächst konnte ich mit der Gitarre nicht umgehen. Dann kam der klassische Gitarrenkurs.“ Doch letztendlich, reflektiert der 56-Jährige, sei es mit der Gitarre so wie mit allen anderen Instrumenten, die er spielen lernte: „Sie sind Mittel zum Zweck, weil ich gerne singe. Singen ist für mich Therapie, es macht die Seele frei.“ Dabei räumt er ein, dass er bis heute nicht wisse, ob sein Gesang gut sei. „Ich habe nie darüber nachgedacht, dafür singe ich viel zu gerne“, sagt er und lacht. Er sieht sich mehr als Musiker, denn als Instrumentalist. „Ich bin einfach neugierig auf verschiedene Instrumente. Es ist etwas anderes, ob man auf Saiten oder Tasten komponiert.“
Mit 14 Jahren habe er mit ein paar Freunden eine Band gegründet – „mehr schlecht als recht“. Der größere musikalische Durchbruch gelang erst ein Jahr später, als die Gruppe bei Projekttagen von einem Lehrer begleitet wurden und dann als „The Sticky Fingers“, einer Rolling-Stones-Coverband mit einigen eigenen Stücken, sogar gegen Gage spielen konnten. Vor allem wird er aber vielen als Kopf der niederrheinischen Kultband „Poets and Workers“ aus den 90er- und 00er-Jahren bekannt sein. Nach „Redegelübde“ (2008) und „Starklebenereignisse“ (2020) hat er nun mit „Expedition Neuland“ sein drittes Album in seinem heimischen Studio mit viel Hingabe und Kreativität über anderthalb Jahre hinweg erschaffen. Apropos Studio: Das ist Teil seines Neulands, denn als Anrather hat er nach über 50 Jahren sein Heimatdorf verlassen und sich mit seiner Frau in Wegberg ein Heim geschaffen.
Er war eine Zeit lang stellvertretender Bürgermeister
Und genau dort, im Studio im Keller, präsentiert er auch gleich ein Musikvideo, das zum Song „Diesmal wirst du abkassiert“ von seinem ehemaligen Schüler Daniel Knoll produziert wurde und in dem unter anderem Schüler des Gesamtschullehrers sowie sein Schwiegervater zu sehen sind. „In dem Stück geht es darum, dass wir lernen müssen, dass unser Wohlstand nicht garantiert ist und dass uns dieser Umstand im Positiven fordern kann“, erklärt er. „Wir können nur aus unserem Jetzt das Beste herausholen.“ Und das versucht er in jeder Sekunde.
In Willich war er eine Zeit lang stellvertretender Bürgermeister, ist Lehrer und Abteilungsleiter der Klassen 8 bis 10 an der dortigen Gesamtschule und hat vor etwa zehn Jahren den gemeinnützigen Verein „Anrath 1000“ gegründet und zunächst auch geleitet, der Menschen unterstützt, die unverschuldet in Not geraten sind. „Idealerweise sollte jeder für eine Weile in seinem Leben etwas Ehrenamtliches machen, das fördert das Miteinander“, findet er. Doch nun genießt er die dörflichen Strukturen, die er auch in Wegberg findet, die Nähe zum Wald und den Blick ins Grüne aus seiner Bibliothek. Markus Gather hat nämlich nicht nur ein Herz für die Musik, sondern auch für Bücher, führt unter dem Pseudonym Textopfer einen Bücherblog und schreibt gerade an einem eigenen belletristischen Roman, getreu dem Motto: Weg von der Kurzform, hin zu großen Texten.
Doch zurück zur Musik: Auf Expedition Neuland sind verschiedene Stücke zu finden. Unterstützt wurde er dabei von Jörg Schreinemackers am Schlagzeug und seinem Freund Achim Remmertz an der Gitarre. Gemeinsam haben sie die Facetten des Lebens und der Emotionen herausgearbeitet und in Klänge gehüllt. So etwa bei „Atme weiter“, einem ruhigen Stück, das wahrscheinlich vor allem diejenigen anspricht, die von Schicksalsschlägen oder Krankheiten getroffen wurden. „Auf klarem Kurs“ handelt davon, sich selbst treu zu bleiben. „Was schwierig ist, weil man sich zu oft im Strudel des Lebens und des Alltags befindet. Wichtig ist, mit sich selbst fair umzugehen.“ Und weil er das Gefühl hat, dass die Menschen immer aggressiver und unehrlicher zueinander werden, schrieb er das Stück „Misanthrop“. „Niemals nie“ beschreibt eine gewisse innere Melancholie, eine Sehnsucht nach früher. „Man trifft Menschen von früher, die heute anders sind. Das ist oft mit einer Enttäuschung verbunden“, nennt er ein Beispiel.
Markus Gather sieht seine Lieder wie sein Tagebuch. Darin finden sich Erkenntnisse aus seinem eigenen Leben wieder, Gefühle wie Wut, Trauer, aber auch Freude und jede Menge Spaß. „Dann spiele ich ein Lied zigmal, irgendwann geht es mir besser, ich kann die negativen Emotionen loslassen.“ Musik sei wie ein Textmarker, der den Fokus auf prägnante Zeilen lege. Die Entstehung sei ein Prozess, aber schließlich ist er stolz darauf, wenn er das Gefühl hat, die Musik ist auf dem Punkt.