Reportage Stille statt Geselligkeit in den Kleingärten

Krefeld · Die Pächter ziehen sich wegen der Corona-Pandemie zurück. Doch manch anderer läuft an seinem Rückzugsort zur Hochform auf.

Hans Brackstone hat in seinem Schrebergarten trotz Corona-Krise viel zu tun.

Foto: Ja/Andreas Bischof

Das Leben vieler Stadtmenschen hierzulande in ihren Kleingärten hat schon der deutsch-russische Literat Wladimir Kaminer pointiert in ein Buch gefasst. In „Mein Leben im Schrebergarten“ erzählt er mit jeder Menge Witz seine Eindrücke und Erlebnisse aus einem Jahr der Selbsterfahrung in diesen grünen Kolonien. „Die Erde ist ein Schrebergarten und wir sind ihre Gartenfreunde, die sich zwischen den nassen Rhabarberblättern einquartiert haben. Und darauf trinken wir uns noch einen“, lautete sein Fazit nach einem Jahr in einer Berliner Kleingartenanlage. Der Schrebergarten ist seit 200 Jahren auch als ein Rückzugsort aus dem lauten Alltag gedacht. Eine Naherholung, eine kleine Oase, wenn man so will. 893 000 solcher Kleinanlagen zählt der Bundesverband Deutscher Gartenfreunde. 900 000 Hobbygärtner sind in ihm organisiert.

Wie sehr gelingt der Rückzug jedoch in einer Krise wie dieser, wenn gerade eine Pandemie über das Land hereinbricht? Wie weit ist es mit der Leichtigkeit noch, wenn der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet im Fernsehen und im Radio davon spricht, es gehe nun um Leben und Tod? Wenn die Bundeskanzlerin in einer Videobotschaft ans Volk die derzeitige Ausbreitung des Coronavirus als die „größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“ bezeichnet?

Hans Brackstone wuchs in Fischeln auf

Am Eingang des Gartenbauvereins Mühlefeld in Fischeln wird auf einem Schild erst einmal gedichtet: „Lieber Gast, fahr‘ ohne Hast, weil’s besser ins Gelände passt.“ Von Hast ist an diesem Freitagmittag wahrlich nichts zu spüren auf den schmalen Wegen der grünen Kolonie. Der Himmel ist grau, der Wind weht frisch. Die erste Wärme des Frühlings, die einige Menschen und Kinder in den vergangenen Tagen wohl – entgegen der Bitten und Aufforderungen der Politiker – etwas zu häufig aus dem Haus gelockt hat, ist verschwunden. Auf den Holztafeln liest man Namen wie Rosenweg und Meisenweg. An den Rändern stehen Nisthilfen für Bienen und Wespen. In einem Garten hält ein Gartenzwerg eine Flasche Bier.

Menschen sieht man in den Parzellen und in den Lauben keine. Dort, wo in normalen Zeiten eigentlich Geselligkeit herrschen könnte, ist Stille. Verschlossen sind die Hütten. Kleine Rädchen drehen sich im Wind. Vögel kreisen hoch über der Anlage. Je weiter man jedoch ins Innere der Kolonie vorstößt, umso leiser wird das Rauschen des Alltags, umso mehr spürt man die Einsamkeit an diesem Tag, umgeben von Natur, Hecken und der Kreationen der einzelnen Gärtner. Ein jeder hat sich hier sein kleines Reich erschaffen, doch niemand ist am Freitag zu Hause. Der Spielplatz ist mit Flatterband abgesperrt, Förmchen liegen noch im Sand.

Auf dem Spielplatz der Anlage sind nach einem Erlass des Gesundheitsministeriums erst einmal die Schotten dicht.

Foto: Ja/Andreas Bischof

Ein gänzlich verlassener Ort? Mitnichten. In der Ferne weht eine England-Fahne im Wind. Ein Mann kniet allein vor seinen Beeten. Man kommt locker ins Gespräch. Hans Brackstone bittet zum Plausch herein in seinen Garten. Er hat schon viel zu tun in diesen Tagen. „Jetzt ist die Zeit“, sagt der 74-Jährige, der durch seinen Garten führt. Im kleinen Treibhaus hat er die Saat eingepflanzt: „In acht bis zehn Tagen kommen die ersten Spitzen.“ Brackstone ist ein lebensfroher Mensch, macht Späße, erzählt gerne und ausführlich von seinem Hobby. Seinem Gast von der Zeitung bietet er gleich mal ein Bier an.

Sein Vater war englischer Soldat, Sohn Hans wuchs in Fischeln auf. Seit 40 Jahren hat er die 450 Quadratmeter große Fläche gepachtet. Früher war er nur Engländer, dazwischen besaß er mal beide Staatsangehörigkeiten, heute hat er nur noch den deutschen Pass. Und die Fahne? „England ist ja jetzt aus der EU raus. Da habe ich sie den ganzen Winter flattern lassen.“

Blumen haben es Brackstone angetan. Bald sollen die Beete erblühen in allen möglichen Farben: „Ich bin ein Blumenfreak.“ 500 bis 600 dieser Pflanzen wird er dann in seinem Garten stehen haben. Derzeit zieht er noch einen kleinen Zaun. Die Vorbereitungen laufen auf den Sommer. „Meine Bekannten sagen mir: Das ist kein Garten, das ist ein Mini-Park.“ 1981 baute er sich seine eigene Laube mit 18 Quadratmetern. „Das war die erste offizielle in Krefeld in dieser Größe“, sagt er.

Brackstone hat Platz genommen am Gartentisch: „Das ist das schönste Hobby der Welt – und das preisgünstigste im Vergleich mit anderen.“ Unkraut sieht man nicht. Im Oktober noch hat er alles umgegraben. Der 74-Jährige geht auf in seiner Arbeit in seinem Garten. Einer kleinen Windmühle aus Holz hat er über die Wintermonate aber lieber die Flügel abgenommen, aus Schutz vor Langfingern. Dafür aber stehen nun Playmobil-Figuren auf der Mühle. Daneben hat er eine Futter-Tränke für Vögel gebaut. An der Spitze das Wappen des FC Schalke 04. Blau-Weiß, das sind auch seine Farben. Man sieht sie überall im Garten.

Manchen Nachbarn wünsche er noch heute ein „Frohes neues Jahr“, denn manche Gärtner aus der Anlage hätten sich bisher noch nicht blicken lassen. Und seine Frau? „Die hat keine Chance. 80 Prozent meiner Freizeit verbringe ich hier. Wenn sie bald mitkommt, ist alles schon fertig.“

Auf dem weiteren Rundgang sieht man sie immer wieder: Gartenzwerge. Kaum ein Garten kommt ohne sie aus. An mehreren Stellen gibt es auch die Totholzmauern. Eine Artenschutzmaßnahme. Schlupfwinkel, Kammern, Hohlräume zum Brüten für Singvögel, Eidechsen, Feuersalamander, Erdkröten, Grasfrösche oder Insekten. Naturschutz, umgeben von Stillleben.

Am Gartenbau-Restaurant „Zur Laube“ fährt der Inhaber vor. Die Lage? „Scheiße“, sagt Alexander Paternoga, der mit seiner Frau die Gastronomie auf dem Gelände führt. „Alle Events sind abgesagt. Wir liefern Essen aus. Mal gucken, wo das alles hinführt.“ Sein Personal musste er schon entlassen, hat schon einmal einen Förderantrag gestellt.

Alexander Paternoga, der mit seiner Frau die Gastronomie auf dem Gelände führt, musste bereits sein Personal entlassen.

Foto: Ja/Andreas Bischof

Die Krise ist auch im Gartenbauverein angekommen. Am Donnerstag musste er schon Kinder vom Spielplatz verscheuchen. „Überall sind Leute, es ist unverantwortlich“, sagt Paternoga, der eine Ausgangsbeschränkung begrüßen würde.

Ein Mann, der namentlich nicht genannt werden will, ist auf der Suche nach Werkzeug bei einem Bekannten in den Kleingärten des Gartenbauvereins Mühlefeld. „Wir sollen uns ja weniger im Garten und in der Gruppe aufhalten“, sagt er. Aber solange es ja keine Ausgangssperre gibt, bliebe ja alles jedem selbst überlassen. Auch hier in der grünen Oase beschäftigen einen die kleinen Dinge des Alltags: „Meine Frau sagte, ich soll Klopapier kaufen. Ich war schon in sechs Läden. Es ist eine Katastrophe im Moment.“