Unsere Leserreporter Der Chronist der Ostwall-Baustelle
Während wohl die meisten Krefelder froh sein dürften, wenn die Arbeiten enden, wird Leserreporter Dieter Wernsing eines seiner derzeit liebsten Fotomotive fehlen.
Krefeld. 1400 Fotos hat Dieter Wernsing bisher von der Großbaustelle am Ostwall gemacht. Und es werden sicher noch Hunderte hinzukommen. Wo etwas entsteht oder auch wo etwas für immer endet, sucht sich der Hobbyfotograf ganz besonders gerne seine Motive. „Da, wo Handlung entsteht“, so drückt es der 76-Jährige aus. „Wenn man die ganze Entwicklung sieht, das ist schon wirklich interessant.“ Kanal-, Straßen- oder Abrissarbeiten gehören für ihn vor allem dazu. Allein von der Demontage der Städtischen Krankenanstalten hat er beispielsweise 400 Bilder in seinem Archiv.
Gerne wählt der Rentner besondere Blickwinkel. Eine seiner Liebsten: die Vogelperspektive. Und so hat er auch die Bauarbeiten auf dem Ostwall schon mehrfach aus den Fenstern der obersten Etagen von Modehäusern, Geldinstituten oder auch dem WZ-Pressehaus dokumentiert. „Die Angestellten kennen mich da schon und bitten mich dann zum Beispiel auch um ein paar Bilder“, sagt der Leserreporter der Westdeutschen Zeitung.
In Fällen wie diesen ist die Kamera für ihn ein Türöffner. Den Reiz des Fotografierens sieht Wernsing, der in der Nähe der Synagoge wohnt, in der Möglichkeit, auch mit Wildfremden zu kommunizieren. „Man kann auf sie zugehen und sich einfach mit ihnen unterhalten“, sagt er, der mittlerweile wohl schon jeden Bauarbeiter auf dem Ostwall abgelichtet hat. „Ich werde diese Baustelle vermissen“, sagt er — und dürfte damit wohl fast alleine sein. „Aber dann gibt es ja auch immer wieder etwas Neues.“ Gerade erst war er beim Abriss der Gebäude am Behnisch-Haus vor Ort.
Der Weg dorthin war — wie auch im Fall des Ostwalls — für ihn nicht so arg weit. Denn der gebürtige Krefelder mit dem auffällig gezwirbelten Schnauzbart sitzt jeden Morgen im Eiscafé an der Ecke Ostwall/Rheinstraße. Mit seiner Frau pflegt er das frühe Tässchen Kaffee an dieser Stelle seit rund zehn Jahren. „Nur im Winter ziehen wir in den Schwanenmarkt um.“
Dass ihr Mann sich mit Herzblut der Fotografie widmet, kennt Helga Wernsing (74) nicht anders. Sie schenkte ihm eine seiner ersten Kameras. Seine älteste — alle 15 hütet er noch heute — stammt aus seinen Jugendjahren. Die Anschaffung fällt etwa in die Zeit seines ersten Tirol-Urlaubs mit den Eltern Mitte der 1950er-Jahre. „Weil mein Vater fotografierte, musste ich auch eine Kamera haben“, erinnert sich Wernsing.
Die Liebe zur Fotografie und zu Tirol blieben. Mit seiner Frau fuhr er fast 45 Jahre in den Urlaub nach Osttirol. Die beiden gingen auf Bergwanderungen. Und auch dort schleppte Wernsing die anfangs noch schweren Kameras im Rucksack mit. Die höchste Stelle, von der aus er fotografierte, war der Großglockner. Und auch beim richtigen Klettern, das er wegen eines Herzenswunschs seines Sohnes mit 50 Jahren in der Eifel bei Nideggen lernte, hatte Wernsing sie gelegentlich dabei. Die höchste Kletterstelle, an der er sie zückte, war auf 2800 Metern auf einem Berg in Südtirol.
Der Krefelder, der aus „einer sportlichen Familie stammt“ (er ist der Neffe von Arthur Wernsing, der mit dem Olympioniken Hubert Houben in der 4x110-Yards-Staffel bei internationalen Meisterschaften Titel holte) und im Verein schwamm, Mitglied im Taucherclub war, Ski lief und „im Eisstadtion auf Kufen groß geworden war“, hörte erst nach seinem 70. Geburtstag mit dem Klettern auf. Heute fährt er „eigentlich nur noch Rad.“ Nach einem Autounfall im Jahr 2005 schaffte er den Wagen ab und tritt seitdem in die Pedale. Aber auch auf dem Drahtesel hat er selbstverständlich fast immer sein wichtigstes „Werkzeug“ dabei.
Was die Summe seiner Bilder angeht, schätzt er, dass aus alten Zeiten alleine 10 000 Dias in seinem Keller lagern. Besonders wichtige hat er mittlerweile digitalisiert und auf seinem Computer gespeichert. Sie stammen aus 40 Jahren mit einem Kleingarten im Gartenbauverein Westpark an der Kempener Allee oder auch aus den Jahren, als der gelernte Starkstrom-Elektriker noch an seinem Arbeitsplatz Umbauten oder Firmenfeste mit der Linse einfing. „Damals habe ich beispielsweise im Kleingartenverein noch Diavorträge gemacht. Die habe ich zum Teil sogar noch vertont. Das hat mich zur damaligen Zeit wochenlang beschäftigt.“
Im heutigen digitalen Zeitalter wäre das deutlich weniger aufwändig. Und heute ist Fotografieren auch keine Kostenfrage mehr. Jetzt, da alles digital ist, kann Dieter Wernsing in Serie auf den Auslöser drücken. Die nächste große Baustelle kommt bestimmt.