Eintauchen in das Leben der Römer
Im Vorhof der Burg Linn zeigten Geschichtsfans, die in viele verschiedene Rollen schlüpften, in ihrem Lager Antike zum Anfassen.
An diesem sonnigen Aprilwochenende ist hoher Besuch in Linn zu Gast: Der adlige Römer Poppeus hat mit seiner Familie in der Vorburg seine Zelte aufgeschlagen. Ihre Kleidung, ihr Schmuck, ihre Gerätschaften entsprechen sämtlich römischen Vorbildern — sie unternehmen mit großer Genauigkeit eine Zeitreise in die Antike und haben ihr Römerlager zum ersten Mal in Linn aufgeschlagen. Damit beginnt die Saison der Reenactment-Fans.
Von jetzt an reisen sie durch die Lande und präsentieren sich mit ihren historischen Rollen den neugierigen Besuchern. Zum Beispiel der Prätorianerpräfekt Poppeus — vulgo Andy Poppe. Das ist eine hohe Stellung im Militär, die mit viel Macht ausgestattet ist. Das sieht man deutlich an den beiden Zelten, in denen auch Platz für Ehefrau, Diener und Kinder ist, die ganze „familia poppeae“.
Ein Prätorianerpräfekt verzichtete auch im Einsatz nicht auf die gewohnten Annehmlichkeiten. Das Zelt, „tentorium“, ist aus weinroter Wolle gewebt und umfasst drei mal sechs Meter. Möbel, Hausrat, Silbergefäße, Betten und auch ein Altar sind hier nach antiken Vorbildern aufgebaut. Die „familia poppeae“ ist aus Trier nach Linn gekommen. Sie sind seit 20 Jahren dabei, alle drei Kinder machen bei dem Hobby der Eltern mit.
Ihr zehnjähriger Sohn trägt auch im richtigen Leben einen römischen Namen: Er heißt Lucius Annius Maximus. Seine älteste Schwester Angelina ist in leuchtend blaue Seide gehüllt. „In Rom traf jede Woche über die Seidenstraße eine Lieferung aus China ein“, weiß Poppe, „je dünner, desto kostbarer und beliebter.“ Angelina ist frisiert wie eine Römerin. „Das haben wir von Marmorbüsten abgeschaut“, sagt die Mutter Daniela.
Den authentischen Schmuck lassen die Poppes bei einem Goldschmied in Trier anfertigen — sie lassen sich ihr Hobby Reenactment (auf Deutsch: Nachstellung) einiges kosten. Andy Poppe trägt eine helle Tunika mit Purpurstreifen und beeindruckenden purpurfarbenen Schnürschuhen, alles Handarbeit. Wie auch die Möbel im Zelt: Andy Poppe kann von jedem Stück genau sagen, wo er das Vorbild gefunden hat. Manchmal sind es Fresken, Grabbeigaben oder Funde aus Herculaneum. Diese Stadt in Italien wurde im Jahr 79 vom Vesuv verschüttet, die dicke Schicht aus Bimsstein hat einiges konserviert. „Einmal“, so erinnert sich Poppe, „konnten wir eine Ausgrabung anschauen, die gerade freigelegt war — die Fresken wirkten wie gerade erst gemalt.“
Die Familie Poppe verbringt fast alle ihre Urlaube in Italien und erweitert ständig ihre Kenntnisse. Andy Poppe weiß über die Zeit so gut Bescheid, dass er sogar die Stadt Rom beim jährlichen Geburtstagsfest „Natale di Roma“ berät. In diesem Jahr hat er auf die Teilnahme verzichtet, um in Linn dabei sein zu können.
Sehr bereitwillig geben er und seine Familie den Besuchern Auskünfte zu den alten Zeiten, die sie hier nachstellen. Neben den Luxuszelten stehen noch eine Reihe von weißen: In denen schlafen jeweils acht Soldaten. Im Römerlager sind auch einfache Soldaten vertreten — wie der syrische Legionär Ralf Möller. Dazu komplettieren mehrere Würdenträger, ein malender Künstler und hochstehende römische Damen die Szenerie.
Mit Textilien aus dem alten Rom und seinen Provinzen befasst sich die Bonner Archäologin Gisela Michel. Sie bringt den anderen römischen Damen das Spinnen bei. Auch hier zeigt sich Liebe zum authentischen Detail: Der Rocken mit der Wolle ziert eine polierte Venus aus Bein.
Der Besuch der „Römer“ unweit des einstigen römischen Kastells ist wegen der historischen Genauigkeit eine gute Gelegenheit für die Besucher, sich eine Vorstellung vom Leben in der Antike zu machen — alle Beteiligten geben ihre Geschichtskenntnisse gerne weiter.