Fall Hopp: Der Vorwurf in Chile lautet Mord
Auf seiner Reise spricht Oberstaatsanwalt Axel Stahl mit Richtern und Opfern der Colonia Dignidad. Neue Ermittlungen laufen.
Lange Zeit sah es so aus, als wären die chilenischen Behörden nicht an einer Zusammenarbeit mit der deutschen Justiz zur Aufarbeitung der Verbrechen in der Colonia Dignidad (CD) interessiert. Als nun eine Delegation aus der Bundesrepublik — unter anderem mit dem Krefelder Oberstaatsanwalt Axel Stahl — in dem südamerikanischen Land eintrifft, scheint sich das Blatt jedoch gewendet zu haben. Ein Kamerateam begleitet die ersten Schritten der deutschen Gäste direkt nach der Ankunft. Und auch der Austausch zwischen den Ermittlern ist laut Aussagen Stahls überaus positiv. „Ich bin überrascht, die Reise war ein voller Erfolg. Durch persönliche Gespräche mit Ermittlern, Richtern und Zeugen habe ich weitere Informationen zu den Verbrechen in der Colonia Dignidad erhalten.“
Nachdem die Reise Ende vergangenen Jahres aus Termingründen von chilenischer Seite aus verschoben worden war, kann die Reisegruppe, bestehend aus Mitgliedern des Landes- und Bundesministerium für Justiz und dem Krefelder Oberstaatsanwalt, Ende April das Flugzeug nach Chile besteigen.
Auf dem Sektengelände sollen sich Massengräber befunden haben Vor Ort geht sogar Stahls Wunsch nach einem Treffen mit Hernan Gonzalez in Erfüllung. Der Richter hatte die Untersuchungen zu den Vorwürfen in der Colonia Dignidad in Chile geleitet. Unter anderem hatte Gonzalez den Sektenführer Paul Schäfer am 24. Mai 2006 wegen Kindesmissbrauch in 25 Fällen für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt.
Noch eindrücklicher als die Gespräche mit Gonzalez sind für den Krefelder aber die Treffen mit ehemaligen Bewohnern der CD sowie einem Beamten, der im Gespräch mit Stahl von Massengräbern auf dem Sektengelände berichtet. Bei einem Besuch des Instituto Nacional de Derechos Humanos (INDH/Nationales Institut für Menschenrechte) wird dem Oberstaatsanwalt zudem Einblick in Geheimakten der Sekte gewährt. In den Dokumenten lassen sich massenhaft Informationen wiederfinden, die die Sektenführung damals zu Feinden und Gönnern der CD hatte anfertigen lassen.
In den Schriftstücken sollen auch Angaben zu den drei auf dem Sektengelände verschwundenen Gewerkschaftern auftauchen. Die Krefelder Staatsanwaltschaft ermittelt im Zusammenhang mit dem ungeklärten Verschwinden des Trios auch gegen den ehemaligen Sektenarzt Hartmut Hopp, der seit seiner Flucht aus Südamerika in Krefeld lebt. Der Vorwurf lautet Mord. Ob die Unterlagen weitere Erkenntnisse zu möglichen Beteiligungen von Hartmut Hopp an Verbrechen in der CD liefern, kann Stahl noch nicht beurteilen. „Die Dokumente, die wir erhalten haben, müssen zunächst übersetzt werden.“ Die Prüfung der Akten soll aber noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.
Zum Hintergrund: Folter, Mord, Kindesmissbrauch: Die Liste der Gräueltaten in der Colonia Dignidad (spanisch für „Kolonie Würde“) ist lang. Längst sind nicht alle Verbrechen auf dem Sektengelände aufgeklärt. Seit Jahren laufen die Ermittlungen zu den Vorfällen, die zur Zeit der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973-1990) rund 400 Kilometer von der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile entfernt auf einem hermetisch abgeriegelten Gelände geschehen sind. Hartmut Hopp, ehemaliger Sektenarzt in der CD, wurde 2013 vom Obersten Gerichtshof Chiles wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch zu fünf Jahren Haft verurteilt. Der heute 73-Jährige flüchtete damals nach Deutschland und lebt seitdem in Krefeld.