Gewalt gegen Polizisten nimmt dramatisch zu

Chef der Gewerkschaft der Polizei berichtet von schlimmer Entwicklung.

Krefeld. Jochen Hall (Name von der Redaktion geändert) will eigentlich nur zwei junge Männer zur Ordnung rufen. Die fahren gemeinsam vor den Augen des Polizeibeamten auf einem Fahrrad über den Bürgersteig.

Das kann Hall, der allein in einem Streifenwagen den Ostwall herunterfährt, natürlich nicht durchgehen lassen. An der Hansastraße stellt er das Duo zur Rede. Doch die Situation eskaliert völlig.

Nicht nur, dass die jungen Männer uneinsichtig sind — blitzschnell strömen Unbeteiligte hinzu, die Stimmung ist sofort aufgeheizt. Keine Minute später liegt Hall am Boden, Menschen treten auf ihn ein.

Verstärkung trifft ein, doch auch gegen Halls Kollegen richtet sich sofort aggressive Stimmung aus einer Menge von mehr als 50 Menschen. Einer Polizistin wird beim Einschreiten der Arm gebrochen — sie muss ebenso ins Krankenhaus wie ihr Kollege, dem mehrere gegen den Kopf getreten haben.

Die Haupttäter sind vergangene Woche vom Amtsgericht verurteilt worden (siehe Kasten) — doch das Problem bleibt: Immer häufiger sehen sich Polizeibeamte in vermeintlich harmlosen Situationen gewalttätigen Angriffen ausgesetzt. 166 Übergriffe hat es 2010 geben, in diesem Jahr waren es 58, sagt Polizeisprecher Wolfgang Weidner.

Insgesamt habe sich das Verhalten gegenüber den Kollegen negativ verändert, konstatiert Wolfgang Lindner, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Krefeld. „Maßnahmen der Polizei werden in 90 Prozent aller Fälle nicht widerspruchslos hingenommen. Es gibt zumindest eine verbale Gegenwehr“, sagt er.

„Das Publikum da draußen hat sich geravierend verändert.“ Selbst die Seniorin, die ihren Wagen auf dem Radweg parke, folge nicht den Anweisungen der Polizisten, sondern diskutiere und nenne Argument über Argument, warum sie gerade jetzt genau dort stehen müsse.

Das seien die harmlosen Fälle. Wenn jemand einem Platzverweis nicht folgt, dann habe man früher durchaus auch mal fünf Minuten erklärt, warum dies erforderlich ist, schildert Lindner.

Heute müssen man nicht nur zügig Sanktionen ankündigen, sondern auch durchsetzen. „Wenn jemand einen Platzverweis nicht befolgt, dann weise ich ihn zweimal darauf hin, dass ich ihn mit zur Wache nehme, wenn er keine Folge leistet. Ein drittes Mal sage ich das nicht, dann wird er mitgenommen.“

Das hat einen Grund: In solchen Fällen strömen in kurzer Zeit viele Unbeteiligte hinzu und machen Stimmung gegen die Polizei. „Da müssen wir schnell handeln, weil die Lage für eine Streifenwagenbesatzung allein zu unübersichtlich wird“, berichtet Lindner aus dem Polizeialltag.

Bei jungen Menschen, insbesondere mit Migrationshintergrund, spürten die Beamten sehr häufig ein enormes Aggressionspotenzial, sagt der GdP-Vorsitzende. Er berichtet von einem Fall, wo die Beamten einen jungen Mann nach einer Schlägerei suchten.

Sie entdeckten einen Verdächtigen, der sich sofort brutal zur Wehr setzte. „Absolut unverständlich. Denn die Kollegen wollten ihn einfach nur überprüfen, und er hatte mit der Tat noch nicht einmal etwas zu tun!“

Auch in Situationen, wo es früher selten eine Gegenwehr gab, sei dies heute keine Ausnahme mehr, sagt Lindner: „Wir halten einen Autofahrer an, weil die Abgasuntersuchung abgelaufen ist, und die Situation eskaliert.“

Besonders aggressiv fielen die Reaktionen in der Nacht und am frühen Morgen aus, wenn Alkohol im Spiel sei. Aber das kann nach Ansicht Lindners nicht allein ausschlaggebend für den Wandel des Verhaltens sein: „Vor 30 Jahren haben die Menschen abends auch nicht nur Limo getrunken.“

Seine Kollegen hätten zum veränderten Verhalten der Menschen eine professionelle Distanz, sagt der Gewerkschaftschef. „Und sie wissen, dass sie es zwischen 3 und 7 Uhr nicht mit dem Querschnitt der Krefelder Bevölkerung zu tun haben.“ Trotzdem sei unter dem Strich feststellen: „Der Polizist als Respektsperson — davon ist nichts mehr übriggeblieben.“