Reportage Auf der Suche nach einem Stau am Morgen

A40: · Kurz vor Ferienende hat sich unsere Reporterin im Berufsverkehr auf die A57 gewagt. Hier ihr Logbuch.

Nur in Schrittgeschwindigkeit kam unsere Reporterin auf der A57 voran.

Foto: dpa/Martin Gerten

Noch 2000 Meter bis zum Kreuz Moers, verkündet das Autobahnschild zu meiner Rechten. Ich bin ein bisschen aufgeregt. Normalerweise fahre ich nicht im Berufsverkehr auf die Autobahn 57. Aber heute geht’s für mich mitten hinein in das Stau-Monster, welches zahllose Pendler all-wochentäglich mit bereits blank liegenden Nerven im Büro aufschlagen lässt.

Noch 200 Meter. Vor mir tuckert ein Tanklaster mit Bio-Abfällen auf die Spur in Richtung Köln. Ich schließe das Fenster. Wenn ich schon gleich hinter dem auf der Fahrbahn festsitze, dann gerne ohne Gestank. Auf Anraten meines Mannes habe ich Wasser und eine Decke im Kofferraum gebunkert. Man kann ja nie wissen...

„Ich bin drauf – das war ja einfach“, flüstert der kleine Boris Becker in meinem Ohr. Die Anzeigetafeln an der Brücke über der Autobahn zeigen Tempo 100. Klingt dynamisch. Ich bin fast ein bisschen traurig.

Immer noch kein Stau, immer noch Tempo 100. Ich bin enttäuscht. Was haben die eigentlich immer alle? Ist es einfach der Drang, das eigene Schicksal als das schwerste zu präsentieren, der alle meckern lässt? Oder möchte der Krefelder die A57 einfach gerne zu einer Art zweiter A40 verklären, ein geliebt-gehasstes Joch, das Krefeld mit sich herumträgt, wie das Ruhrgebiet seine Autobahn? Sind wir alle ein wenig Frank Goosen? Oder habe ich meine Erwartungen zum Ende der Sommerferien einfach zu hoch geschraubt?

Rot blinkende Rücklichter in der Ferne. Die Ausfahrt Gartenstadt ist in Sicht und das Tempo verlangsamt sich merklich. Die Anzeigetafeln beschränken die Geschwindigkeit nun auf 60 Stundenkilometer und auch ein Stauzeichen leuchtet auf. Na also. Mit Tempo 15 krieche ich an der Abfahrt vorbei. Im Rückspiegel sehe ich, wie die Mundwinkel meiner Hinterfrau in Richtung Kinn rutschen. Genervt wechselt sie auf die Überholspur. Ohne zu überholen, versteht sich. Im Gegensatz zu mir ist ihr Ziel nicht der Weg.

Hier läuft es plötzlich wieder – aber nur kurz. Zu früh gefreut, Warnblinklichter vor mir kündigen erneutes Kriechen an. Diesmal bleiben sogar alle kurz stehen, dann geht es in Faultier-Geschwindigkeit weiter. Der Golf links vor mir schlingert ungeduldig von links nach rechts. „KK“ zeigt sein Kennzeichen. Unwillkürlich fallen mir die zahlreichen unschmeichelhaften Bezeichnungen ein, zu denen die diversen Kennzeichen schon inspiriert haben. „VIE“ wie „Vollidiot in Eile“, „D“ wie „Doof“. Wofür steht noch mal „KK“?

Ein Hupen von hinten reißt mich aus meinen Gedanken. Der Audi vor mir ist tatsächlich fünf Meter nach vorne gerollt und ich bin nicht direkt nachgezogen. Das nimmt mir mein Hintermann natürlich sofort übel. Mit der Hand winkt er in Richtung imaginärer Zielgeraden und mit dem Mund will er mich offenbar regelrecht voran brüllen. Gut, dass mein Fenster geschlossen ist. Das Kennzeichen des Rüpels stammt aus Wesel. Wie war das gleich mit dem Niederrheiner und seinem sonnigen Gemüt?

Stop-And-Go. Ein roter, überlanger LKW aus Unna quetscht sich vor mir in die Spur. Ich beneide den Fahrer nicht um sein Riesen-Gefährt und lasse ihn vor. Meinem nervösen Hintermann gefällt das aber offenbar gar nicht: Er fährt bis auf zwei Millimeter an mich heran. Wozu, das kann ich nicht genau sagen, aber diesmal schaue ich genauer hin. Der Weseler ist ein Audi-Fahrer mit Sonnenbrille, der mit stereotyper Lässigkeit seinen linken, üppig be-uhrten Arm aus dem Fenster baumeln lässt wie mit dem rechten hektisch in sein Handy tippt. Termin von neun auf viertel nach neun verlegen. Sein Auto muss wohl schon eins von diesen selbst-steuernden sein. Wusste gar nicht, dass Audi die schon serienmäßig herstellt.

Gefühlt jedes dritte Auto hat einen BVB-Sticker am Heck kleben. Bin ich doch aus Versehen auf der Autobahn 40 geblieben? Ach nee, hier kommt die Raststätte Geismühle. Im Spielstraßen-Tempo schieben meine Mitstreiter und ich uns daran vorbei. Ob ich vielleicht doch schnell abfahren und noch ein paar Vorräte nachladen sollte? Nein, das Tempo wird plötzlich schneller. Es sind sogar schon erste Lücken zwischen den Fahrzeugen zu erkennen. Schade? Nein, echt nicht. Ich bin zwar absichtlich in den Stau gefahren, aber jetzt möchte ich doch gerne auch absichtlich wieder raus. Denn die Mischung aus Ungeduld und Resignation, die die anderen Fahrer ausstrahlen, ist ebenso nachvollziehbar wie deprimierend.

Da kommt das Kreuz Meerbusch in Sicht. Der Verkehr fließt wieder normal und ich beschließe, mein Experiment zu beenden. Es war kurz, zumindest kürzer als erwartet. Sommerferien sei Dank. Rund fünfzehn Minuten extra habe ich für die Strecke von Kreuz zu Kreuz gebraucht. Aber das Gefühl, ausgeliefert und um wertvolle Zeit betrogen worden zu sein, hallt noch nach. Ich beneide keinen der Pendler, die hier ab der kommenden Woche wieder täglich vom Murmeltier begrüßt werden. Dann allerdings ohne Ferien-Bonus. Mein Beileid, vergesst Wasser und Decken nicht!