Idyll an der Autobahn Von Fußballfans und Wildpinklern: Wohnen an der A57

Krefeld · Astrid und Wolfgang Schnepper leben seit fast 20 Jahren an der Autobahn. Auch wenn es paradox klingt: Sie sind froh über den Ausbau. Denn nicht der Lärm stört sie, sondern ganz andere Randerscheinungen.

Die Eheleute Astrid und Wolfgang Schnepper pflegen ihren Garten, der fast direkt an der Autobahn 57 liegt.

Foto: dj/Dirk Jochmann (DJ)

Der Hibiskus blüht im riesigen Vorgarten von Astrid und Wolfgang Schnepper. Eine einzelne Walnuss hängt erreichbar am Baum, unter dem das Paar gerade am Gartentisch sitzt. Die 58-Jährige nippt an ihrem frisch gebrühten Kaffee. Ihr Mann lehnt sich in seinem gemütlichen Stuhl zurück. Irgendwo zwitschern ein paar Vögel. Es könnte so idyllisch sein. Wenn die Autobahn 57 nicht wäre.

Ein Grundrauschen liegt über dem ansonsten so friedlich wirkenden Backsteinhaus mit gepflegtem Grün an einem Ende der verzweigten Hauptstraße in Oppum. Nur ein paar Schritte entfernt liegt die vierspurige A57. Als Sichtschutz haben sich die beiden eine Hecke an ihren Sitzplatz vor der Haustür gepflanzt. Sie bietet jetzt Privatsphäre, wo sonst hunderte Fremde an einem Sommertag einen Blick auf ihren Frühstücksteller oder aufs Abendbrot werfen konnten.

Reisende stehen schonmal im Vorgarten der Schneppers

Wobei das auch jetzt noch passiert. „Wenn Busse mit asiatischen Touristen auf dem Rastplatz Geismühle halten, dann haben wir schon mal welche in unserem Garten stehen. Die lächeln dann, sind total lieb und nett und fotografieren zum Beispiel unsere vier Garagen, die sie offensichtlich lustig finden, kommen zu uns an den Gartentisch und fotografieren auch da schon mal“, erzählt Wolfgang Schnepper (73) lachend. Das sind die lustigen Momente, die die Nähe zur Autobahn bringen.

Bei anderen Entwicklungen ist dem Rentner und seiner Frau jedoch weniger zum Lachen zumute. Seit der Toilettenbesuch an Tankstellen und Raststätten gebührenpflichtig ist, stehen nicht nur immer häufiger Wildpinkler zwischen Büschen und Bäumen ihrer Vorgärten oder an ihren Zäunen. Morgens muss Wolfgang Schnepper auch unschöne Überraschungen anderer Art von seinem Rasen entfernen. Und die sind nicht vom Nachbarshund, der gerade mit Herrchen Jürgen Hamm bei den Schneppers zu Besuch ist. „Die Hemmungen haben abgenommen“, sagt Hamm, der 60 Jahre alt ist und genau so lange schon an diesem Teil der Hauptstraße wohnt – im gleichen Haus, das seine Urgroßeltern 1898 bauten. „Ob Busse voller Fußballfans oder Fahrer von dicken SUVs kein Geld für die Toilette bezahlen wollen – das zieht sich durch alle Schichten“, ergänzt er. „Tagsüber stelle ich mich schon mal in die Einfahrt, das reicht dann meist. Aber mir haben auch schon Leute Schläge angedroht, wenn ich gesagt habe, ob ich helfen darf“, berichtet der ehemalige Schornsteinfeger Schnepper. Ähnlich ist es auch schon Jürgen Hamm ergangenen. Er glaubt, dass nicht mehr passiert ist, weil er mit seinem Schäferhund unterwegs war.

Den geplanten Ausbau der Autobahn und Umbau der Geismühle-Raststätten auf beiden Seiten der A57 nennt Hamm die „pure Glückseligkeit“. Das klingt paradox. Schließlich sind die Zeiten, in denen es vor der Tür dieser Oppumer ruhig wird, vor allem die mit Stau. Und nach dem Ausbau der A57 auf sechs Spuren soll der Verkehr auch in Stoßzeiten besser fließen können. Es wird also insgesamt wohl lauter.

Aber mit dem Aus- beziehungsweise Umbau kommt auch die Lärmschutzwand westlich der Autobahn. Von ihren Grundstücken aus werden die Anwohner dann statt auf Kolonnen von Lastwagen, Autos und Motorrädern auf diese Wand blicken. Sie schluckt nicht nur die Geräusche der vorbeirauschenden Fahrzeuge, die Wolfgang und Astrid Schnepper „im Gegensatz zu manchen Besuchern irgendwie gar nicht mehr hören, weil wir uns daran gewöhnt haben“.

Irgendwann werden die beiden in heißen Sommernächten wieder mit offenem Fenstern schlafen können, auch wenn in der Nähe die Fahrer von Kühllastern übernachten und „die ganze Nacht die Kühlung läuft“. Das sei vor 19 Jahren, als sie an dieses Fleckchen Oppum zogen, „weil es hier so schön grün war“, noch nicht so schlimm gewesen. Wie sehr sich der Verkehr tagsüber verändert hat, merken die beiden daran, dass sie sich bei Ostwind im Freien fast anschreien müssen, um einander zu verstehen. Aber wie gesagt, das Grundrauschen stört sie nicht besonders. „Wir haben früher an der Hochfelder Straße an der Bahn gewohnt. Das haben wir auch irgendwann nicht mehr gehört“, sagt Astrid Schnepper, blickt hoch zu einem Flugzeug und ergänzt, „das stört mehr als die Autos“.

Es sind drei andere Gründe, weswegen sie sich auf die Lärmschutzwand freuen. Die Wildpinkler, Diebe – weswegen alle Nachbarn nachts nichts draußen in ihren Gärten stehen lassen können – und die Schleichweg-Experten. „Zum Beispiel diejenigen, die über die Hauptstraße bei uns vorbei eine Abkürzung auf die Autobahn nehmen oder zum Burger King an der Raststätte nicht über die Autobahn fahren wollen und auf dem Rückweg dann den Müll am Straßenrand fallen lassen“, sagen die Schneppers.

Zehn Autos in 15 Minuten
nutzen den Schleichweg

Die 58-Jährige schaut auf die Uhr und beginnt zu zählen. Sie kommt auf zehn Autos in 15 Minuten, die am Verbotsschild vorbeifahren. Doch dann zuckt sie mit den Schultern. Denn eigentlich wohnen sie und ihr Mann immer noch sehr gerne hier. So grün wie damals ist es immer noch. „Und es ist eine tolle Nachbarschaft.“ Man kümmere sich umeinander. Jeder könne hier leben, wie es ihm gefällt. Und Jürgen Hamm resümiert: „Schöner kann man nicht wohnen. Trotz der A57.“