Museum Das Rätsel des Gelleper Schildbuckels
Krefeld · Wenn die Erde uralte Geheimnisse preisgibt, können diese neue Fragen aufwerfen. Ein Beispiel für die Arbeit der Archäologen in Krefeld.
Der Soldat hat panische Angst. Er befindet sich mitten auf dem Schlachtfeld. Es herrscht ein ohrenbetäubendes Getöse. Freunde, die eben noch neben ihm kämpften, liegen tot im Schmutz. Der Soldat nimmt all seinen Mut zusammen. Er fasst sein Schwert und den Schild fester und stürmt brüllend nach vorn. Nach wenigen Sekunden ist er im blutigen Getümmel verschwunden.
Über sein Schicksal ist nichts bekannt. Auch der Name hat die Zeiten nicht überdauert. Geblieben ist lediglich ein kleines Stück seiner Ausrüstung, das die – von Hollywood beeinflusste – Fantasie des Betrachters anregt. Es ruft die Bilder vom angsterfüllten Legionär hervor, der um sein Leben kämpft. Ob es wirklich so gewesen ist? Niemand kann das heute, mehr als 2000 Jahre später, sagen.
Bleiben wir also bei den gesicherten Fakten: Tatsache ist, dass die Ausgräber am früheren Römer-Kastell in Gellep im vergangenen Jahr ein Bruchstück aus dem Boden geholt haben, das aufgrund seiner Besonderheit aus den bislang ausgewerteten Einzelfunden in diesem Bereich herausragt und zugleich die gedankliche Puzzle-Arbeit der Archäologen nach der Grabung beispielhaft veranschaulicht.
Es handelt sich um einen sogenannten Schildbuckel. Das ist jene Erhebung in der Mitte des lebenswichtigen Abwehr-Instruments, hinter der sich die haltende Faust des Kämpfers verbirgt. Achtung, jetzt wird es sehr wissenschaftlich: Obwohl der „umbo“, so der lateinische Begriff, nicht mehr in Gänze erhalten ist, lässt sich seine Spindel-Form noch gut erkennen. Diese aber ist, so erklärt Schletter, typisch für das erste Jahrhundert vor Christus. „Beste Asterix-Zeit also“, denkt der althistorische Laie.
Zur Zeit der Bataver-Schlacht aber, die im Jahr 69 – nach Christus – auf dem Gebiet nahe des Rheins stattfand, waren längst runde Buckel Standard. „Solche haben wir ebenfalls gefunden“, sagt Hans-Peter Schletter. Von der Spindel-Variante dagegen gibt es nach Angaben des Krefelder Stadtarchäologen weltweit nur drei bekannte Objekte dieser Art – das niederrheinische Exponat schon mit eingerechnet. Die anderen beiden wurden in Mittelitalien und Südfrankreich entdeckt.
Das erklärt das ungläubige Staunen beim Expertenteam in Gellep, als der anfangs „unscheinbare Rostklumpen“ (Schletter) durch die sorgsame Feinsandstrahl-Behandlung von Restauratorin Eileen Wolff sein Geheimnis preisgab. „Als ich es zum ersten Mal sah, war ich auf dem Sprung zu einem Termin“, erinnert sich der Stadtarchäologe. Er habe der Kollegin Wolff nur noch zurufen können: „Das kann nicht sein!“ Ähnlich äußerte sich Christoph Reichmann, ehemaliger Leiter des Museums Burg Linn, in dem das Stück seit kurzem zu sehen ist (siehe Info-Kasten).
Genauere Untersuchungen ließen jedoch keinen Zweifel. Dafür stellte sich die Frage, wie ein solch früher „Buckel“ in die Zeit nach Christi Geburt passt. Hans-Peter Schletter liefert diese Erklärung: „Da ist jemand mit Großvaters Schild in den Krieg gezogen.“ Denn er sehe eindeutig einen „Schlachtfeld-Zusammenhang“. Im Krieg werde eben alles genommen, was tötet. Auch Antiquiertes. Und die Bataverschlacht war die einzige „Notsituation“ dieser Art zu jener Zeit rund um das heutige Krefeld. Damals lieferten sich die germanischen Bataver und die Römer eine blutige Schlacht bei Gelduba, dem heutigen Gellep. Schätzungen gehen von rund 20 000 Kombattanten aus.
Die Auseinandersetzung, aus der die Römer (mit hohen Verlusten) als Sieger hervorgingen, hat der Historiker Tacitus in seinen „Historien“ exakt beschrieben. Anders als bei vielen anderen historischen Quellen steht in diesem Fall auch fest, wo genau sie stattgefunden hat. Nämlich unweit der Siedlung „Gelduba“.
Ab April 2017 hatte Schletter zehn Monate mit bis zu 40 Leuten gegraben. Auf dem 3,7 Hektar großen Areal sicherte das Team 90 000 Funde. Entdeckt wurden nicht nur Schwerter aus der Antike, sondern auch eine Pflugschar aus dem 19. Jahrhundert (und anderer neuzeitlicher Schrott). Ein erster kleiner Teil der wirklich alten Stücke ist seit einigen Wochen im Archäologischen Museum zu sehen. „Abenteuer Großgrabung – Gräberfeld, Bataverschlacht und Römersiedlung“ lautet der Titel (die WZ berichtete).
Der außergewöhnliche Schildbuckel hat die Ausstellungsnummer 1. Er liegt in einer Vitrine nahe dem Eingang.