Herr Hansen, schon 2015 haben Sie für das Amt des Oberbürgermeisters kandidiert. Sind Sie diesmal mehr als ein Zählkandidat, rechnen Sie sich echte Chancen aus?
Kommunalwahl 2020 OB-Kandidat Hansen: „Die Digitalisierung ist ein grünes Thema“
Krefeld · Krefelds OB-Kandidat Thorsten Hansen (Grüne) rechnet sich Chancen aus, in die Stichwahl zu kommen.
Thorsten Hansen: Die Konstellation ist eine andere als vor fünf Jahren. Damals war ich erst ein gutes Jahr in der Politik und nur den Insidern bekannt. Diesmal ist es anders. Wir Grüne haben bei der Europawahl fast 25 Prozent bekommen. Das zeigt unser Potenzial in Krefeld. Wir haben fast 100 Mitglieder mehr als vor gut 18 Monaten. Etliche Leute kennen mich mittlerweile. Ich rechne mir gute Chancen aus, in die Stichwahl zu kommen.
Gegen wen werden Sie dort antreten?
Hansen: Ich vermute, dass es Herr Meyer ist. Klar ist, der Amtsinhaber hat immer einen Bonus. Doch bis dahin sind es noch ein paar Wochen. Und: Ich nehme eine latente Unzufriedenheit mit seiner Arbeit wahr. Ich glaube nicht, dass jemand im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit bekommt.
Was würden Sie für Schwerpunkte setzten, wenn Sie gewählt werden?
Hansen: Ein Schwerpunkt wäre eine Verwaltungsreform. Bei der digitalen Modernisierung haben wir einen eklatanten Mangel. Es muss alles zentral gemacht werden. Und je mehr Projekte wir anschieben, umso schwieriger wird es, da sie so viel Last in die Verwaltung hinein bringen, dass sie dort gar nicht mehr in der Lage sind, alles umzusetzen. Das ist eines unserer Probleme: Es mangelt in Krefeld nicht an Konzepten. Damit können sie Wände tapezieren. Es mangelt an der Umsetzung. Das liegt teils an Personalmangel, aber auch an der Art und Weise, wie in der Verwaltung gearbeitet wird. Es ist sehr viel Papier da, es gibt kaum elektronische Prozesse.
Wie wirkt sich die Corona-Krise auf den Haushalt aus?
Hansen: Bei den verschiedenen Projekten ist die Frage, wie sieht überhaupt unser Kassenstand zum Jahresende aus? Die Prognosen gehen von 75 bis 100 Millionen Euro Defizit aus. Schon 2014 standen wir in Krefeld mit dem Rücken zur Wand, da hatten wir ein Defizit von 70 Millionen. Und jetzt sind es vielleicht nochmal 30 Millionen Euro mehr.
Für ein neues Verwaltungsgebäude ist also kein Geld da?
Hansen: Wir werden priorisieren müssen, ob wir noch Geld für ein neues Verwaltungsgebäude auf dem Theaterplatz oder für eine neue Veranstaltungshalle haben. Unsere Entscheidungen dazu müssen wir auf den Prüfstand stellen: Macht es Sinn unter den neuen Bedingungen?
Macht es Sinn?
Hansen: Ich finde es sehr schade, dass wir es nicht geschafft haben, das Stadthaus zu sanieren. Auch im Sinne von Nachhaltigkeit. Ob wir nun nochmal einen Anlauf zur Sanierung machen, müssen wir prüfen. Denn möglicherweise können wir uns das neue Verwaltungsgebäude nicht leisten. Hinzu kommt: Bevor sie das bauen, müssen sie das Seidenweberhaus abreißen. Da brauchen sie dann auch eine Alternative – ob es jetzt das Kesselhaus ist oder etwas anderes. Ich habe gehört, dass auch Investoren da sind, die ein neues anderes Gebäude bauen wollen als Veranstaltungshalle. Ich glaube: Wir werden uns alle nach der Wahl – unabhängig von Parteipolitik – zusammensetzen und in die Bücher gucken müssen, um festzustellen: Was haben wir überhaupt an Geld?
Was würden Sie zur Rettung der Krefelder Innenstadt unternehmen?
Hansen: Hier sind enorme Fehler gemacht worden. Früher gab es die Strategie in der Stadt, sich gar nicht zu engagieren, sondern alles den privaten Investoren zu überlassen. Da hat aber ein Sinneswandel stattgefunden. Die Stadt muss selbst aktiv werden, und das wird noch intensiver erfolgen müssen – etwa indem sie durch Leuchtturmprojekte wie dem Stadtbad Neusser Straße die Innenstadt weiter entwickelt. Und wir müssen uns klar machen: Den Einzelhandel, wie wir ihn vor zehn, 20 Jahren kannten, werden wir in Zukunft nicht mehr haben. Die Krise der Kaufhäuser wird sich fortsetzen. Es braucht ein Einkaufs- und ein Aufenthaltserlebnis, so dass man gerne in die Innenstadt geht. Der Ansatz, mehr aus den historischen Wällen zu machen, ist der richtige Weg.
Der Zustand auf dem Theaterplatz erhöht die Aufenthaltsqualität nicht gerade. Was kann man tun?
Hansen: Die gleiche Diskussion haben wir vor fünf Jahren auch geführt. Man muss zunächst akzeptieren: Wir sind eine mittlere Großstadt. Dazu gehört eine gewisse Kriminalität, dazu gehören Drogen- und Alkohol-Abhängige. Man kann nicht schnippen, und dann sind sie nicht mehr da. Was im Moment gemacht wird, ist eher eine Verdrängung. Damit verlagern sich die Probleme nur. Was wir ja schon diskutiert haben, ist ein Angebot zu machen mit einem Drogenkonsumraum. Das wird auch nicht alles heilen. Law and Order reicht aber alleine nicht.
Es gibt eine Ablehnung des Drogenkonsumraums durch die Caritas...
Hansen: Dort wird befürchtet, dass Gelder, die sie heute bekommt, umgewidmet werden. Unser Ansatz ist aber: Wir wollen zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen und zusätzliche Stellen schaffen.
Wie sehen Schwerpunkte einer grünen Wirtschaftspolitik aus?
Hansen: Ich komme selbst aus der freien Wirtschaft und bringe hier Kompetenz mit, die man nicht unbedingt bei uns Grünen erwartet. Es ist aus meiner Sicht schon eine Bereitschaft da, Dinge zu verändern, um die Wirtschaft ökologischer und nachhaltiger zu gestalten. Diese Prozesse muss man unterstützen. Ein Beispiel: das Industriegebiet Uerdingen-Nord. Da hatten wir am Anfang keinen Internet-Anschluss. Das ist so, als würde man ein Industriegebiet ohne Straße bauen. Die Digitalisierung ist hier ein grünes Thema, da wir Daten statt Akten laufen lassen. Was mich zudem bewegt, sind die hohe Arbeitslosigkeit und die hohe Kinderarmut in Krefeld. Ich habe das an verschiedenen Stellen angesprochen und das Gefühl bekommen: Das interessiert keinen. Ich würde hier ein Krefelder Bündnis für Arbeit anregen.
Was ist mit neuen Gewerbegebieten?
Hansen: Es wird immer postuliert, dass wir neue brauchen und dafür Flächen versiegelt werden müssen. Doch es sind Brachflächen da – im Chemiepark, bei Philipps in Linn, bei Outokumpo. Lasst uns diese erst einmal entwickeln. Eines der Hauptkriterien war dabei bisher, wie viele Arbeitsplätze pro Hektar entstehen. Man kann aber auch ökologische Komponenten entwickeln. Und auch mit privaten Investoren sollten wir eng zusammenarbeiten.
Wie sieht die Mobilität in Krefeld in Zukunft aus? Würden Sie als Oberbürgermeister zum Beispiel das Straßenbahnnetz ausbauen?
Hansen: Generell ist mein Wunsch, dass die Mobilität menschengerechter wird und nicht länger nur das Auto im Mittelpunkt steht. Wir haben ideale Bedingungen für eine fahrradfreundliche Stadt. Es muss Radachsen geben, man muss schneller mit dem Rad als mit dem Auto in die Innenstadt kommen. Die Diskussion wird nicht einfach – aber so ein Projekt wie der Pop-up-Radweg auf der St.-Anton-Straße wäre früher nicht möglich gewesen. Und dass sich jetzt bei den Straßenbahnen neue Möglichkeiten eröffnen, hätten wir vor ein paar Jahren nicht gedacht. Die Förderrichtlinien sind anders geworden, auch für kleinere Projekte wie eine Anbindung nach Hüls oder Willich.
Die Grünen haben jüngst nochmals mit der – nicht ganz neuen – These für einen Aufschrei gesorgt, man könne auf neue Einfamilienhäuser in Krefeld verzichten. Was sagen Sie den jungen Familien, die trotzdem bauen möchten?
Hansen: Es ist ja nicht so, dass wir gegen Einfamilienhäuser sind. Wir wollen aber eine andere Mischung haben. In der Vergangenheit ging der Trend stark zu Einfamilienhäusern – siehe Schicksbaum. Davon müssen wir wegkommen. Ich selbst wohne in einem Wohngebiet aus dem Ende der 1960er Jahre. Da ist mittlerweile auch ein Generationswechsel da. Was uns aber oft fehlt, sind kleinteilige Wohnungen, die auch seniorengerecht sind. Denn wer jetzt alleine ist, braucht vielleicht nicht mehr das Haus von 120 Quadratmetern, das er einst für die Familie gebaut hat. Hier könnte umgeschichtet werden. Unser Ansatz ist ein Sowohl als Auch.
Freut sich der grüne Oberbürgermeister Hansen schon auf die Zusammenarbeit mit der grünen Beigeordneten, die es demnächst gibt?
Hansen: Da wissen sie mehr als ich. Am 20. August ist eine Ratssitzung, und dort werden wir wählen.
Es hat aber Absprachen gegeben.
Hansen: Dass wir mit den anderen Fraktionen reden und es da Präferenzen gibt, ist klar. Mir ist aber das Parteibuch nicht wichtig, sondern welche Ideen die Kandidaten für Krefeld mitbringen. Für den Umweltschutz gab es in der Verwaltung nie eine Lobby. Auch Frank Meyer ist dieses Thema nicht angegangen.
Mit wem könnten Sie sich im neuen Rat eine Zusammenarbeit vorstellen?
Hansen: Wir werden keine klaren Mehrheiten haben. Man muss in der Lage sein, über Parteigrenzen hinweg miteinander zu reden. Koalitionen sind nicht unbedingt notwendig, sondern es kann auch eine Zusammenarbeit der demokratischen Parteien im Rat auf Projektbasis geben.