Analyse Krefeld streitet über Ditib
Spurensuche mit der Integrationsexpertin Tagrid Yousef und Szene-Kenner Askin Yildirim.
Krefeld. Tagrid Yousef ist seit zwei Jahren in Krefeld als Leiterin des kommunalen Integrationszentrums aktiv. Was Integration fordert und bedeutet, kennt die 49-Jährige aus ihrer eigenen Sozialisation. Yousefs Vater kam als Gastarbeiter nach Deutschland, die Palästinenserin erinnert sich noch gut: „Es gab keinen Deutschkurs, keinerlei Integrationsbemühungen des Staates. Hätten wir nicht eine Nachbarin gehabt, die sich ehrenamtlich um uns kümmerte, wären wir aufgeschmissen gewesen.“
Die promovierte Neurobiologin und Lehrerin wundert sich deshalb auch nicht darüber, dass tausende junge Deutsch-Türken Erdogan huldigen und am Rheinufer für die Todesstrafe skandieren.
Die Stimmung, sagt Yousef, sei sicher angespannt in diesen Tagen. „Aber konstruktiv, das möchte ich für Krefeld ausdrücklich betonen.“ Soweit sie es mitbekommt. Die türkische Gemeinde in Krefeld zählt 15 000 Menschen. Sie ist organisiert unter dem Dach der Türkischen Union, homogen ist sie darum noch lange nicht. Es gibt viele unterschiedliche Strömungen: die Linksorientierten, die Mitte der 80er geflüchtet sind, die Kemalisten, natürlich auch graue Wölfe, die islamische Denkfabrik an der Gladbacher Straße, die den Salafisten nahestehen soll, die Organisation Milli Görüs, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und natürlich die Ditib-Moscheen an der Saumstraße, in Stahldorf an der Obergath und am Lübecker Weg in Uerdingen.
In diesen Tagen, da NRW-Innenminister Jäger der Ditib-Gemeinde in Köln wegen obskurer Märtyrer-Comics die Freundschaft kündigt, rückt der staatlich unterstützte Diyanet-Ableger besonders in den Fokus. Nicht zuletzt wegen der Bestrebungen, aus der Gemeinnützigkeit herauszutreten und in Deutschland als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Mit Imamen, die vom türkischen Staat geschickt und bezahlt werden.
Und spätestens, seit die sonst eher forsche SPD-Ratsfrau Halide Özkurt als ehemalige stellvertretende Landesvorsitzende des Vereins Ditib sich nicht eindeutig von der Erdogan-Politik distanziert hat, ist das Klima in Krefeld gestört. In diesen Tagen gibt es sogar offenen Streit zwischen linken Türken und den Ditib-Gemeinden.
Die Wahrheit? Es kommt darauf an, wer gefragt wird. Die linksgerichtete Organisation vom Solidaritätshaus äußert sich sehr kritisch über rechte Tendenzen innerhalb der türkischen Community und will mitbekommen haben, dass Anhänger der Gülen-Bewegung in Ditib-Moscheen nicht mehr beten dürfen. Deren Verantwortliche keilen zurück — und attackieren gleich auch die CDU. Sie dürfe die Muslime ausgrenzen, indem sie von Moschee-Vertretern erneut ein Bekenntnis zur freiheitlichen Grundordnung fordere.
Von „Distanzierungswahn“ und „Bekenntniszwang“ ist die Rede. Derweil machen Gerüchte die Runde, dass die unterschiedlichen Lager innerhalb der türkischen Gemeinde im Alltag Druck aufeinander ausübten und insbesondere Erdogan-Gegner nicht viel zu lachen hätten.
Tagrid Yousef mahnt in dieser Melange zur Besonnenheit. Aus der Perspektive der Integrationsbeauftragten mache sie sich derzeit keine Sorgen um das Zusammenleben in Krefeld: „Da wird vieles aufgebauscht, das ist nicht förderlich.“ Was sie allerdings verstehe, ist, dass die Politik Klarheit haben wolle. Damit spielt Yousef auf die Anträge von UWG, CDU und Linke an, die im Rat nächste Woche Donnerstag gern die Rolle und das Wirken der Ditib-Gemeinden in Krefeld erörtert haben wollen. „Es gibt berechtigte Fragen, die ich gern beantworte.“
Rund 120 000 Euro Fördergelder stehen dem Kommunalen Integrationszentrum in diesem Jahr für Projekte zur Verfügung, fünf Projekte der Türkischen Union werden derzeit mit insgesamt etwa 10 000 Euro unterstützt. „Etwa die Einrichtung eines Begegnungsraums bei der Ditib-Moschee in Uerdingen und einer Begegnungsstätte in der Emre-Younes-Moschee in Stahldorf.“ Hier würden unter anderem Sprachkurse für Flüchtlinge gegeben. Außerdem gebe es da noch das Projekt „I go, you go, we go“, das die Türkische Union direkt mit dem Kommunalen Integrationszentrum umsetzt, indem junge Gemeindemitglieder und junge erwachsene Schüler sowie Studenten Patenschaften für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge übernehmen.
Yousef sagt mit Blick auf die Jäger-Entscheidung in Köln: „Ich habe keinerlei Signal aus den Ministerien, diese Kooperationen einzustellen. Sie laufen auch sehr gut.“ Tagrid Yousef müht sich in diesen Tagen um Sachlichkeit in einer schwierigen, teils unsachlichen Debatte. Es ist ihr Job. Sie sagt aber auch: „Nach meiner persönlichen Meinung haben Religion und Staat nichts miteinander zu tun. Religionsgemeinschaften müssen komplett unabhängig sein, es darf kein Zwang zur Religion bestehen.“
Da spricht Tagrid Yousef mit Askin Yildirim. Der freie Journalist aus Rumeln ist Türke und Beobachter der türkischen Szene, auch in seiner Nachbarstadt Krefeld. Er warnt ebenfalls vor der Verquickung von Staat und Religion, schlägt vor, die Finanzierung der Imame in Deutschland schleunigst anders zu finanzieren. „Die Ditib sagt mir, man sei unpolitisch, der Vorbeter wird von der Religionsbehörde bezahlt und geht in seiner Predigt auch auf den Putsch ein. Das passt nicht, da muss ein klares Signal her.“
Yildirim sieht in Krefeld und anderen Städten das nebeneinander von vielen unterschiedlichen Gruppen von Aleviten, Sunniten, Türken und Kurden und glaubt, dass der offene Streit, wie er sich jetzt in Krefeld zuspitzt, überall schlummert. „Wir müssen aufpassen, dass die Situation nicht eskaliert, es geht um Lösungen.“ Dass Gülen-Anhänger in Deutschland Druck bekommen, glaubt Yildirim fest. „Das wird von der Türkei komplett hierher übertragen.“