Gewerkschaft Krefelds DGB-Chef Ralf Köpke geht nach Düsseldorf
DGB-Chef wird Geschäftsführer im Landesbezirk. Dem Ortsverein will er weiter vorstehen. Ein Gespräch über Wehmut und Solidarität.
Krefeld. Niemals geht man so ganz? Vielleicht trifft es auf Ralf Köpke zu. Er wird hauptberuflich Landesbezirksgeschäftsführer in Düsseldorf. Und zwar schon zum 1. Juli, was bedeutet, dass er seinen Job als Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall aufgibt und am Ostwall die Suche nach einem Nachfolger beginnt.
Mit Köpke geht einer, der alle kennt, den alle kennen. Ein Freund des klaren Wortes, politisch sozialisiert, aber ohne Parteibuch. Überparteilich, tief verwurzelt in Wirtschaft — etwa als Sprecher bei Zukunft durch Industrie —, Politik und Vereinsleben, gern gesehener Gast auf den Podien der Stadt. Im Interview mit der Westdeutschen Zeitung blickt Köpke auf sein Krefeld heute und nennt Ross und Reiter.
Herr Köpke, Sie haben bereits Freitag ihren letzten Arbeitstag bei der IG Metall. Wie kommt es zu dem schnellen Abgang?
Ralf Köpke: Natürlich hatte ich schon ein wenig Zeit und habe lange darüber nachgedacht, ob ich diesen Weg nochmal einschlagen soll. Ich bin 56 und hätte die zehn Jahre auch gut in dieser spannenden Stadt mit tollen Kollegen verbringen können.
Aber?
Köpke: Mit meinem Vorgänger Manfred Wotke und Landeschef Andreas Meyer-Lauber gehen gleich zwei entscheidende Persönlichkeiten in den Ruhestand. Als Landeschefin ist Anja Weber vorgeschlagen, sie ist mein Alter, eine Klasse-Kollegin. Wir haben die Chance, den Verband gemeinsam für die Zukunft zu stabilisieren, der Digitalisierung Rechnung zu tragen, ihn nach vorne zu bringen. Ich möchte gestalten und diese Herausforderung annehmen.
Viele Akteure in Krefeld werden überrascht sein.
Köpke: Ich bin keiner, der sich so wichtig nimmt, aber was mir in den letzten Tagen innerhalb und außerhalb der IG Metall an Sympathien und guten Wünschen begegnet ist, nimmt mich schon enorm mit. Ich bin sehr emotionalisiert und kann mich noch gar nicht richtig auf die neue Aufgabe freuen. Aber ich möchte ja auch Krefelder DGB-Chef bleiben.
Sie sind vor 15 Jahren aus Moers gekommen. Was hat sich für Sie persönlich in der Zeit verändert?
Köpke: Für mich persönlich die Akzeptanz als Auswärtiger, die man sich in Krefeld hart erarbeiten muss. Ich habe es geschafft, durch viele persönliche Gespräche und Offenheit zu allen Seiten. Und das geht viel besser, wenn du nicht parteigebunden bist.
Und im Job?
Köpke: 2002 hatten wir 89 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Krefeld. 2017 sind es fast genauso viele, aber die Qualität der Jobs ist deutlich schlechter. Leiharbeit, Befristung, Teilzeit, gesunkenes Lohnniveau. Krefeld hat in dieser Zeit bis zu 6000 gut bezahlten Industriearbeitsplätze verloren. Hinzu kommt die verstetigte Langzeitarbeitslosigkeit und eine Entsolidarisierung, die allerdings schon mit Kohl begann.
Inwiefern?
Köpke: Der Kanzler propagierte 1982 „die geistig-moralische Wende nach der sozialliberalen Koalition“. Jeder kämpft für sich, der Druck wächst auf den Einzelnen, die Angst vor Konsequenzen, etwa beim Eintritt in eine Gewerkschaft, steht vor dem Zusammenhalt. Früher waren in den großen Betrieben 90 Prozent der Kollegen organisiert. Da konnten wir vernünftige Tarifabschlüsse aushandeln. Heute sind nur noch 20 Prozent der Unternehmen im Flächentarif. Es gibt in Krefeld Firmen, die mit aller Gewalt die Gründung von Betriebsräten verhindern. Und da ist Fressnapf ein schlimmes Beispiel, aber nur die Spitze des Eisbergs.
Was heißt das: mit aller Gewalt?
Köpke: Drohungen, Kündigungen. Wer etwa einen BR gründet, darf frühestens bei der Wahl zum Wahlvorstand aus der Deckung kommen, weil der Druck enorm ist. Besagte Unternehmen reagieren auf solche Bestrebungen mit Rundschreiben, in denen sie die Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld für alle dagegenstellen. Einzelne werden eingeschüchtert oder fristlos gekündigt und dann günstig abgefunden. Andere werden rausgekauft. Es gibt eine Armada von Rechtsanwaltskanzleien, die ihre Dienste, Betriebsräte zu verhindern, offen bewerben. Sie bieten sogar Schulungen an. Die Einrichtung Betriebsrat ist laut Betriebsverfassungsgesetz eine Kann-Bestimmung, kein Muss.
In der Causa Fressnapf laufen die Prozesse. Welche Beispiele gibt es noch?
Köpke: Bei Certuss etwa ist die Betriebsratswahl letztendlich geplatzt. Es gab extremes Mobbing und extremen Druck. Bei Borgmann wurde der Betriebsratsvorsitzende dreimal fristlos gekündigt, bis er entnervt die Firma verließ. Der Betriebsrat ist mittlerweile aufgelöst. Immerhin gibt es auch Annäherungen: Bei Wilhelm Schulz, wo Gewerkschaften bis dato nicht einmal einen Fuß aufs Gelände setzen durften, stehen im Sommer Gespräche an.
Gesprochen wird auch bei Siempelkamp, der Konzernbetriebsrat wurde wiederbelebt.
Köpke: Und das ist ungemein wichtig. Es gibt viele Geschäftsführer, die Situation für die unterschiedlichen Betriebsräte ist unübersichtlich. Innerhalb der letzten zwei Jahre wurden 200 Mitarbeiter abgebaut, 50 ausgegliedert, und das wird noch weitergehen. Die Ausbildung ist gestoppt. Ohne kritische Medien wüsste die Öffentlichkeit nichts. Siempelkamp informiert selektiv und dann nur über große Aufträge. Geschäftsführer Fechner ist am Ende Alleinregent und zieht seinen Kurs durch: Verschlankung, Personalabbau, Internationalisierung. Offenbar will er jetzt aber doch im Tarif bleiben.
Was passiert bei Siemens?
Köpke: 300 Stellen sind akut gefährdet. In Erlangen werden margengetriebene Entscheidungen für die Aktionäre gefällt. Es scheint, als werde eines der modernsten Schienenfahrzeugewerke der Welt von oben platt gemacht. Ich hoffe da auf den starken Betriebsrat und eine Belegschaft, die es sich nicht einfach gefallen lässt.