Blind Guardian im Interview: „Wir sind die Paradiesvögel des Metal“

Hansi Kürsch wundert sich, wie wenig seine Band in der Heimatstadt wahrgenommen wird.

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Krefeld. Herr Kürsch, Sie kommen mit Rollkoffer zum Interview. Darf man fragen wieso?

Hansi Kürsch: Ich bin eben erst mit dem Flieger in Düsseldorf gelandet. Wir waren in Florida und haben als Headliner bei einer Metal-Cruise — einer Schiffskreuzfahrt mit Konzerten an Bord — gespielt. Es ging von Fort Lauderdale nach Jamaika und wieder zurück.

Und jetzt haben Sie eine neue Platte im Gepäck: „Beyond The Red Mirror“. Zwischen der und Ihrem bislang letzten Album „At The Edge Of Time“ lagen vier Jahre. Warum hat das so lange gedauert?

Kürsch: Wir wollen nicht überpräsent sein als Band. Wir brauchen diese Zeit, um das Beste abzuliefern. Das ist unser Rhythmus. Zudem hört sich das länger an als es ist, denn: Wir machen eine Platte, spielen eine große Tour und Festivals - und ziehen uns wieder zurück, um das nächste Album aufzunehmen. Da sind vier Jahre schnell rum. Und wenn man sich die musikalische Reichhaltigkeit unseres neuen Albums anhört, dann wird außerdem klar, dass das auch nicht schneller geklappt hätte.

Dieses neue Album klingt in der Tat opulent, episch, orchestral. Man hört die Arbeit, die reingesteckt wurde. Verspüren Sie da manchmal Lust, einfach drauflos zu rocken?

Kürsch: Nein. Dazu sind wir viel zu sehr Tüftler. Wir wollen uns weiter entwickeln. Wir stehen nach jeder Platte wieder am Nullpunkt und müssen uns neu definieren. Wir halten nichts davon, Sachen nur zu wiederholen. Wenn man das tut, ist man in seinen Möglichkeiten begrenzt. Dabei trotzdem seine Fans mitzunehmen und ihnen Songs zu bieten, die auch live funktionieren, ist eine Herausforderung, der wir uns gerne stellen.

Und eine, die Ihre Fans goutieren: Es gibt sie überall auf der Welt. Aber: Wo sind sie am wildesten?

Kürsch: Das kann man so zwar nicht sagen. Aber: Als wir zuletzt in Sao Paulo auftraten, spielten wir vor 7000 Menschen in einer Halle, in der die Leute so nahe an der Bühne dran waren und so laut mitsangen, dass sie unsere Verstärker-Anlage, salopp gesprochen, platt machten. Wir hörten uns selbst nicht mehr.

International erfolgreiche Bands verortet man in der Großstadt. Warum sind Sie in Krefeld geblieben?

Kürsch: Es gab nie einen Grund, das zu ändern. Wir sind hier aufgewachsen. Hier gab es hier schon immer eine kreative Musikszene. Krefeld war immer schon die Stadt, in der viele Metal-Fans leben. Außerdem machen wir Musik, die von Herzen kommt. Und die ist vom Standort unabhängig. Aber das ist Metal ja sowieso. Wenn jemand harten Dancefloor macht, braucht er vielleicht eher diesen Großstadt-Impuls, damit seine Musik funktioniert.

In Internetforen diskutieren Ihre Fans, warum Ihnen noch kein Denkmal in Krefeld gesetzt wurde. Haben Sie eines verdient?

Kürsch: Vielleicht heißt ja irgendwann mal eine Straße hier „Blind-Guardian-Straße“. Aber Scherz beiseite: Wir brauchen kein Denkmal. Nur wundern wir uns manchmal schon, wie wenig wir von den Offiziellen der Stadt wahrgenommen werden. Da fragen wir uns, warum denen nicht klar ist, dass wir Krefeld international stärker repräsentieren als jede andere Institution oder Vereinigung — inklusive etwa des KEV. Warum auch immer: Wir haben offenbar keine Chance.

Kommt es denn vor, dass Fans auf Blind-Guardian-Spurensuche herkommen?

Kürsch: Ja. Vor allem Fans aus Japan oder Australien haben das schon gemacht und standen in Grefrath vor der Studiotür. Oder sie fuhren raus zur Burg Linn, weil sie wissen, dass die für mich sehr wichtig ist. Ich bin in deren Schatten aufgewachsen, habe da oft gespielt und abgehangen. Und sie hat Blind-Guardian-Songs inspiriert.

Die neue Generation von Metal-Bands trägt keine Kutte mit Aufnähern mehr und hat volltätowierte Sänger mit zig Piercings am Körper. Sie sind dagegen noch alte Schule, oder?

Kürsch: Ich würde es anders sagen: Wir sind die Paradiesvögel des Metal und liefen lange Zeit in unfassbar uncoolen, bunten Klamotten rum. Mittlerweile achten wir da glücklicherweise ein wenig mehr drauf und ziehen uns ähnliche Sachen an, meist in Schwarz. Doch auch wenn bei uns noch zwei Langhaarige spielen — nach Metal sehen wir trotzdem nicht aus. Wir brauchen auch keine Tattoos und Piercings. Die haben wir früher nicht gebraucht. Und die brauchen wir heute, mit Ende 40, erst recht nicht mehr. Wir haben unseren eigenen Stil und unseren eigenen Kopf. Und das hat wiederum mit dem Naturell des Niederrheiners zu tun.

Wie ist es denn, dieses Naturell?

Kürsch: Der Niederrheiner ist sehr eigen. Er hat einen extrem schwarzen Humor, den man anderswo nicht häufig findet. Deshalb erkennen und verstehen sich Krefelder auch immer und überall, wenn sie sich treffen.