Zeitgenössischer Tanz Tanzkunst im Lockdown
Krefeld · Cocoon-Dance hat ihr eigentlich für das Move-Festival geplante Stück in der Fabrik Heeder trotz Absage bühnenreif geprobt. Ein Lagebericht.
Wenn es existentiell wird, wird es zumeist zwangsläufig philosophisch. Und die aktuelle Corona-Situation ist vor allem für performative Künste eine existentielle Situation, denn ohne Auftreten keine performative Kunst, ohne Bühne kein Theater oder ohne Publikum kein ästhetischer Diskurs und so weiter. Geld kann da helfen zu überleben, doch es geht um mehr. Um die Kunst selbst oder wie es Rainald Endraß, Dramaturg der Cocoon-Dance-Compagnie sagt: „Man macht sich große Sorgen um den Flow“. Denn der gehe verloren; man könnte zuspitzen, die Kunst geht verloren, wenn man nicht einmal proben, geschweige denn auftreten darf.
Die Arbeit wird später uraufgeführt, doch schon gefilmt
Aber die Geschichte, die wir hier erzählen wollen, dreht sich um schöne Gelegenheiten und Lichtblicke – trotz wiederholtem Lockdown. Denn obwohl das Krefelder Tanzfestival Move abgesagt werden musste und somit auch die Performance „reCAPTCHA“ von Cocoon-Dance nicht mehr uraufgeführt werden konnte, ließ sich das Team um Rafaële Giovanola, Rainald Endraß und Tänzerin und Mitchoreografin Martina De Dominicis nicht davon abhalten, ihr Stück weiter zu proben. Es einfach weiter fertig zu machen im Studio I der Fabrik Heeder unter den aktuell gültigen strikten Corona-Bedingungen. Es gibt zwar keinen Stream oder dergleichen; dies sei auf die Schnelle hier vor Ort nicht realisierbar gewesen, erklärt man uns, so wird das Stück dennoch ohne Publikum vor Kameras aufgeführt. Filmisch verewigt und wartet dann schließlich darauf, möglichst bald auch live lebendig werden zu können.
Wie sie uns in einem telefonischen Gespräch – organisiert von der Stadt Krefeld, die über das Kulturbüro Herr über die Fabrik Heeder ist – mitteilten, waren sie eine Woche zu Gast und arbeiteten an der Arbeit „reCAPTCHA“. „Uns war es sehr wichtig, das hier fertig zu machen“, sagt Rafaële Giovanola. Hier in Krefeld, wo die Bonner Gruppe Cocoon-Dance immer wieder gerne ihre Arbeit zeigte – seit Jahrzehnten. Übrigens, just jetzt im Lockdown, feiert man Jubiläum; aber das ist ein anderes Thema.
In der Arbeit geht es um „Organlose Körper“, um einen kreativen Prozess, der sich auch in Improvisation entlädt. Doch lebt nicht Improvisation gerade auch von der Aura des Moments? Von einem oft nur subtilen, nicht selten auch unbewussten Austausch zwischen der Reaktion des Publikums und der Aktion des Künstlers, was wiederum dann aufeinander reagierend zirkulär wird? Ein sich selbst aufrecht erhaltendes Geben und Nehmen?
Nun, ganz so einfach ist es dann wiederum nicht. Gilt zwar für etwa Choreografien und die weiten ästhetischen Felder der Tanzkunst zwar nicht uneingeschränkt, dass Kunst auch existent ist, wenn sie gerade keiner sieht oder wahrnimmt, hört. Das Gedankenspiel ist einfach – wenngleich es auch kluge Theorien gibt, die anderes behaupten, aber zu abgedreht soll es nicht werden.
Wenn man etwa ein Bild im Keller eines Museums verwahrt, ist es immer noch Kunst, es ist vorhanden, im Keller. Wenn eine Beethoven-Sinfonie gerade nicht gespielt wird, also in der Schublade steckt, ist sie immer noch Kunst. In den Noten, die zwar gespielt, also realisiert werden müssen, aber das Werk bleibt real. Gleiches gilt für Dramen, Romane, die im Regal liegen, für im Grunde alles, was ästhetisch fassbar ist.
Nur, was ist mit Kunst die vom Moment und vor allem vom Moment lebt. Etwa die bei zeitgenössischem Tanz oft so zentrale Säule der Improvisation? Und ist eine Beethoven-Sinfonie nicht gemacht, um sie zu spielen und zu hören? Sollen Bücher etwa nicht gelesen werden und Dramen aufgeführt? Ist ein Gemälde nicht irgendwie seines Sinns enthoben, wenn es nicht angesehen werden darf?
Aber zurück zu unserem Fall. Cocoon-Dance hat das Glück, trotz der aktuellen Lage zumindest noch arbeiten zu dürfen. Proben sind in Deutschland erlaubt; eine Aufführung ihrer Arbeit Body Shots ist sogar ganz real vorgesehen im Dance Center Zagreb. Dort darf wohl noch veranstaltet werden. Doch mit den Junior-Compagnien, den „Nachwuchsabteilungen“, dürfen die Macher derzeit nicht arbeiten. Zumindest in Deutschland geht das nicht, denn Proben sind laut Coronaschutzverordnung nur für Profis erlaubt.
Fragt man Choreografin Rafaële Giovanola, die zusammen mit Rainald Endraß im Jahr 2000 die Cocoon-Dance gründete, wie sie die aktuelle Lage um Beschränkungen und Lockdown sehe, so macht sie um ihre Ambivalenz kein Geheimnis. „Am Anfang habe ich es weniger verstanden“, sagt sie. Dass Museen nicht öffnen dürften, die ja große Räume mit sehr guten Hygienekonzepten sind, verstehe sie bis heute nicht. „Doch wenn die Zahlen steigen“, sagt sie, werde es zu einem Fall, den man gemeinsam durchhalten müsse. Und gerade die Kulturschaffenden hätten sich sehr strikt an alle Regeln gehalten.
Zugleich frage sie sich, „warum andere Sachen offen sind“ und die Kultur nun doch wieder in den Lockdown müsse. Sie habe den Eindruck, dass somit Kultur als am wenigsten systemrelevant angesehen werde. „Wieso haben wir nicht wirklich einen Schnitt gemacht?“, fragt die Choreografin. „Wir fühlen uns ungerecht behandelt“ und dennoch: „Wir suchen immer nach Lösungen“, sagt die Choreografin.