Interview „Muss mich in viele Köpfe versetzen“

Interview | Krefeld · Drehbuchautor Erol Yesilkaya wuchs in Krefeld auf. Wir sprachen mit ihm über seinen neuesten Film „Exit“, Corona und seine Jugend.

Drehbuchautor Erol Yesilkaya ist in Krefeld aufgewachsen.

Foto: Yesilkaya

Der in Krefeld aufgewachsene Drehbuchautor Erol Yesilkaya steht hinter vielen Filmen der Tatort-Serie. Aktuell entführt er die Zuschauer mit dem Film „Exit“ in die Zukunft. Wir sprachen mit ihm über seine Art zu arbeiten, aber auch über seine Sicht auf die Corona-Lage und seine prägende Jugend in Krefeld.

Herr Yesilkaya, wir befinden uns im neuen Corona-Lockdown, was die Kreativwirtschaft, die Kultur auch sehr einschränkt. Wie schätzen Sie persönlich die Lage ein?

Erol Yesilkaya: Ich denke, ich fühle da nicht viel anders als andere Leute, zumal ich gerade in persönlicher Quarantäne bin, weil es in der Kita von einem meiner Kinder einen Corona-Fall gab. Es ist sehr nah’ an mich herangekommen – ich nehme das extrem ernst. Ich habe es auch schon vorher extrem ernst genommen, und ich glaube, ich habe aber dieselbe Ansicht wie die meisten Menschen aus der Kreativbranche: dass der falsche Zweig derzeit von der Politik eingeschränkt wird.

Wie begründen Sie diese Einschätzung?

Yesilkaya: Gerade Kinos und Theater, wo sehr darauf geachtet wurde, dass alle Maßnahmen eingehalten werden und die Zahlen belegen, dass von Kinos und dergleichen keine Infektionen ausgehen, müssen schließen. Das ist sehr problematisch. Das ist wirklich ein Problem – um mich herum können sehr viele Menschen wie Kameraleute oder Schauspieler nicht arbeiten. Ich verstehe aber auch, dass etwas getan werden muss; wir müssen alle zusammenhalten und uns zusammenreißen. Doch es geht darum, den Sweetspot, den optimalen Weg dazwischen, zu finden. Genauso sollte die Regierung sich zusammenreißen und ihre Zahlen prüfen, wie wir es alle tun müssen.

Gerade in dieser Zeit, in der wir möglichst zu Hause bleiben sollen, werden Filme, vor allem auch Fernsehfilme oder Streaming sehr wichtig. Womit wir bei Ihrem Metier wären. Sie haben viele Drehbücher für Tatorte geschrieben. Was macht das Genre für Sie aus?

Yesilkaya: Angefangen habe ich tatsächlich mit ganz puren Genre-Filmen, zwei Horrorfilmen (Gonger und Gonger 2, Anm. d. Red.), aber da war ich noch Anfänger. Ich liebe den Tatort, weil er für mich eine Spielwiese ist und mir sehr gutgetan hat. Aber der Tatort ist unglaublich wichtig. Neben Sport und den Nachrichten gibt es populärkulturell im deutschen Fernsehen nichts Vergleichbares. Es ist ein generationsübergreifendes Format, über das alle reden.

Was Ihnen mit ihren Drehbüchern gemeinsam mit den Tatort-Teams gelungen ist, sind fast schon film-künstlerische Experimente. Wie etwa der Tatort „Meta“, für dessen Buch Sie den Grimme-Preis 2019 erhalten haben.

Yesilkaya: Der Tatort ist, weil er so erfolgreich ist, eine Spielwiese. Innerhalb von diesem absolut funktionierenden Tatort-Kosmos kann ich versuchen, Dinge, die mich persönlich interessieren, umzusetzen. Ich war vorher kein großer Tatort-Fan, kannte ihn gar nicht richtig. Ich bin zu diesen Produktionen gekommen aus Notwendigkeit – ich musste arbeiten. Es war schwierig, da hereinzukommen, aber bei dem Frankfurter Tatort „Das Haus am Ende der Straße“ mit Joachim Król, den ich zusammen mit Michael Proehl geschrieben habe, unter der Regie von Sebastian Marka, war es das erste Mal, dass ich wirklich einen Film so schreiben konnte, wie ich es wollte – mit Themen, die mir wichtig waren.

Sprechen wir über ihre aktuelle Produktion „Exit“, auch unter der Regie von Marka. Der Film hatte schon im Oktober Premiere auf ARD, ist aber in der Mediathek zu sehen. Er spielt 2047 in Tokio in einem Hotel. Es geht um das Digitalisieren von Menschen; virtuelles Leben. Es gibt viele Filme, die in ähnliche Richtungen gehen. Wollten Sie immer schon so etwas machen?

Yesilkaya: Ich wurde tatsächlich früher schon einmal in einem Interview gefragt, ob es etwas gäbe, was ich gerne machen würde, und ich habe darauf buchstäblich geantwortet, ich würde gerne einen Near-Future-Film, also eine Geschichte, die in einer näheren Zukunft spielt, machen. Nicht unbedingt Science-Fiction mit Raumschiffen und Laserstrahlen, sondern eher dieses etwas mehr Geerdete.

Die Geschichte basiert auf einem Text von Simon Urban.

Yesilkaya: Uns wurden mehrere Kurzgeschichten angeboten. Die von ihm war tatsächlich die, worin der Regisseur und auch ich unsere Themen, die wir meistens in unseren Filmen haben, wiederfinden konnten. Angst vor dem Tod, Verlust und wie geht man damit um. Zudem gab es die Spannungselemente, die wir gerne in einem Film sehen. Und die gesamte Handlung der Kurzgeschichte spielte sich in einem Hotel ab. Das half uns auch produktionell. Da ist alles zusammengekommen.

Wie sind Sie bei der Adaption vorgegangen?

Yesilkaya: Ich habe sehr viel geändert an der Kurzgeschichte, aber die Essenz, die hat gepasst. Und wenn ich mich darin wiederfinde, dann kann ich es auch schreiben.

Wie gehen Sie beim Schreiben vor? Gibt es Keimzellen, aus denen sich das Buch entwickelt vielleicht einen Kern oder mehr eine Struktur, an der Sie entlang arbeiten und das Sie mit Material anfüttern?

Yesilkaya: Ich habe alle Varianten schon erlebt. Normalerweise nehme ich Bezug auf irgendetwas, was ich selber erlebt habe. Es gibt oft einen Funken, der den Ausschlag gibt. Es kann aber auch sein, dass es eine Vorlage gibt, wie bei „Exit“, und man schaut, wo die Schnittmengen mit eigenen Gedanken sind. Die arbeite ich dann heraus.

Weil Sie erwähnten, dass es oft persönliche Bezüge sind; Sie sind in Krefeld aufgewachsen, haben aber auch türkische Wurzeln.

Yesilkaya: Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater ist Türke – ich bin Doppelstaatler und zwischen den Welten zu Hause. Und ich bin in Krefeld aufgewachsen und fühle mich als Deutscher. Ich kann definitiv besser türkisch essen als Türkisch sprechen. Was ich großartig finde, ist, dass ich immer beide Seiten verstehe. Man geht mit einem anderen Verständnis an verschiedene Kulturen heran, und für einen Drehbuchautor ist das ein Geschenk. Ich muss mich in den Kopf von so vielen verschiedenen Menschen versetzen. Auch mal Serienmördern und allen möglichen Bösewichtern; wenn man das nicht kann, wird es schwer in diesem Beruf.

Wenn Sie sich zurückerinnern an Krefeld, gibt es bestimmte Situationen oder Phasen, die besonders geprägt haben. Vielleicht auch Dinge, die Ihnen in einer anderen Stadt so nicht passiert wären?

Yesilkaya: Auf jeden Fall, aber ich glaube, da kann ich nicht darüber reden. Eine Sache kann ich sehr gut sagen, weil sie so schön doppeldeutig ist.

Sie spannen uns ein bisschen auf die Folter.

Yesilkaya: Krefeld ist sehr nah’ an Venlo. Und sehr nahe an der niederländischen Grenze. Und Sie wissen, was man in Venlo bekommt. Oder?

Nun. Ich habe da was im Kopf und entscheide mich für: Kaffee.

Yesilkaya: (lacht) Ich war nie Kaffeetrinker. Wissen Sie, was ich meine? Sie denken es vielleicht zu wissen. Was ich meine sind ungeschnittene Filmfassungen. Was mit einer meiner prägendsten Erinnerungen war, dass ich mit einigen meiner besten Freunde nach Venlo gefahren bin in eine Videothek und haben uns Filme ausgeliehen. Haben uns das ganze Wochenende hingesetzt, Filme angeschaut und sie kopiert. Jeder hat zwei Videorecorder mitgebracht. Wir haben das Wochenende miteinander verbracht mit Filmen, mit Quatschen, mit Freundschaft. Es waren ganz intensive Zeiten. Es war ein Abenteuer.

Schließen wir mit „Exit“. Was sind die wichtigsten drei Argumente, den Film anzuschauen?

Yesilkaya: Der Film ist extrem spannend, extrem bewegend, und ich wüsste nicht, dass es einen Film in dieser Art in den letzten 30 Jahren im deutschen Fernsehen gegeben hat. Das allein ist ein Argument dafür, ihn sich anzuschauen und zu sehen, wohin das öffentlich rechtliche Fernsehen bereit ist zu gehen. Der Film betritt Neuland in der deutschen Fernsehlandschaft. Bisher war die Resonanz sehr gut.