Großer Gursky ganz klein: Krefeld zeigt 130 Fotografien

In den Krefelder Museen Haus Lange/Haus Esters gibt sich der teuerste Fotograf der Gegenwart bescheiden.

Krefeld.Weltbekannt ist der Düsseldorfer Fotokünstler Andreas Gursky als Schöpfer von Fotografien, die gern mal das Ausmaß einer zweistelligen Quadratmeterfläche erreichen. Ausgerechnet sein Werk "99 Cent" mit dem bezwingenden Blick in einen amerikanischen Billig-Supermarkt erreichte auf einer Auktion in New York vor gut zwei Jahren den Rekordpreis von mehr als 2,2 Millionen Dollar.

In den Krefelder Museen Haus Lange/Haus Esters gibt sich der teuerste Fotograf der Gegenwart nun eher bescheiden: Rund 130 Fotografien aus 28 Jahren sind zu sehen, die der Superstar der Kamera meist kaum größer kopiert hat als es zwei nebeneinandergelegte Briefbögen wären.

Der nahezu enzyklopädische Blick auf Gurskys Produktion seit Essener Studentenzeiten und in der legendären Becher-Klasse der Düsseldorfer Akademie ist vom 12. Oktober bis zum 25. Januar 2009 in den beiden Krefelder Bauhaus-Villen zu sehen. Dann wandert die ungewöhnliche Ausstellung nach Stockholm und Vancouver weiter.

Wie der gerade erst fertiggestellte "Katalog" der Kleinformate auf ihn wirke, ob das erstmals komprimiert sichtbare Lebenswerk gar seine weitere Arbeit beeinflusse, könne er jetzt noch nicht sagen, sagte der 53-Jährige. Auf jeden Fall werde Krefeld zur "Zäsur" in seiner Arbeit.

Im kommenden Jahr werde es - nach den zehn Einzelausstellungen diesen Jahres rund um den Erdball - eine "kreative Pause" ohne Ausstellungen geben, dafür aber mit genügend Zeit zum Nachdenken über neue Bild- Strategien. "Auf dem Feld der Fotografie ist noch viel abzuarbeiten, aber was, das verrate ich noch nicht. In Richtung Installation könnte ich mir was vorstellen", sagte Gursky.

Die Krefelder Kleinbild-Retrospektive macht aber aufregend deutlich, wie sich der Akademie-Meisterschüler Gursky an der Ästhetik der kühlen Industrie-Fotos von Bernd und Hilla Becher "abarbeitet". Er sei von dem legendären Fotografen-Paar anfangs doch "sehr beeinflusst und ihm eher hörig gewesen", sagt Gursky.

Die spröde Aufnahme "Gasherd" (1980) oder die Interieurs deftiger Düsseldorfer Bierkneipen stehen ganz in Bechers neusachlicher Seh-Tradition. Bisher nie gezeigte und noch mit der Plattenkamera fotografierte Konzern-Pförtnerlogen erscheinen von fern als Gesellschaftsstudien fast in der Prägung August Sanders.

Mit winzigen Wanderern kommt im Motiv "Klausenpass" 1984 erstmals der Mensch im Miniformat ins Spiel, der auch noch im aktuellen und gewohnt wandfüllenden Foto-Tableau "Kathedrale" als verlorenes Grüppchen - darunter Filmregisseur Wim Wenders - in Krefeld zu entdecken ist.

Ihm gehe es nicht um das Individuum, nicht um das Porträt, sondern eher sozialgeschichtlich um ein zeitgemäßes Abbild der "Spezies Mensch", erläutert der Künstler. Ebenso unverkennbar "Gursky": Menschen als wimmelnde Masse, als bloßes Ornament - ob bei seinen sehr gefragten Börsenfotos, bei nordkoreanischen Parteitagshuldigungen und selbst noch bei der altmeisterlich komponierten Rennfahrer-Szene "Boxenstopp" von 2007, die zu den wenigen Großformaten der Krefelder Schau gehört.

Mit seinen imponierenden 6,09 Metern Länge und 2,23 Metern Höhe erinnert das aus mehreren Aufnahmen am Computer collagierte Bild der zwei emsigen Monteur-Gruppen recht pathetisch an barocke Schlachten- oder Altar-Malerei. Eingetaucht wird das schnittige Motiv für Jungenherzen in das dramatische Hell-Dunkel eines Caravaggio. Den Vorwurf, bei vielen Fotografien die Stilmittel der Malerei marktgängig zu plündern, kontert der Foto-Star selbstbewusst: Es gebe halt bestimmte Kompositionsprinzipien, "auf die greift man als Künstler zurück".

Auch den Kritiker-Einwand, mit massiver Computerbearbeitung, mit verschobenen Perspektiven oder verkürzten Bildräumen, auf deren magische Wirkung schon der Romantiker Caspar David Friedrich gesetzt hat, den dokumentarischen Gehalt von Fotografie zu verraten, weist Gursky entschieden zurück. "Es ist ein grundlegendes Missverständnis, dass man Fotografie dazu verdammt, ein Abbild der Wirklichkeit zu sein" - niemand würde das schließlich von der Literatur verlangen.