In Krefeld griff Mahler selbst zum Taktstock
Anlässlich einer Tonkünstlerversammlung im Juni 1902 gab es die Uraufführung seiner 3. Sinfonie.
Krefeld. Zu den großen Künstlerpersönlichkeiten, die das Musikleben Krefelds bereichert haben, gehört auch Gustav Mahler. Im Juni 1902 weilte er gemeinsam mit seiner Frau Alma hier, um die Uraufführung seiner 3. Sinfonie selbst zu dirigieren. Anlass war die 38. Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen Deutsche Musikvereins, die vom 6. bis 10. Juni stattfand.
Dem Krefelder Musikdirektor Theodor Müller-Reuter war es durch Kontakte zu Richard Strauss gelungen, die hochkarätige Veranstaltung an den Niederrhein zu holen.
Gefördert durch die Fabrikantenfamilien, konnte Krefeld damals auf eine große Musiktradition zurückblicken. Clara Schumann und Johannes Brahms waren hier schon aufgetreten, seit 1887 verfügte man mit der Städtischen Kapelle über ein eigenes Orchester.
Am 9. Juni 1902 dirigiert der Komponist Gustav Mahler erstmals die vollständige Fassung seiner Sinfonie, die mit ihren sechs Sätzen und einer Dauer von 95 Minuten zum Monumentalsten zählt, was er bis dahin geschaffen hatte.
Wie zeitgenössische Quellen berichten, wird das in der damaligen Stadthalle (an der St.Anton-Straße gelegen und 1943 zerstört) stattfindende Konzert für den Komponisten ein Triumph. Schon seit 1892 hat Mahler an dem Werk gearbeitet, wobei Hauptphase und Vollendung der Komposition auf die beiden Sommer 1895/96 fallen.
Hauptberuflich ist Mahler damals als Erster Kapellmeister in Hamburg tätig und bezeichnet sich selbst als „Ferienkomponist“. Dazu benötigt er absolute Ruhe und eine inspirierende Umgebung. Beides findet er am schönen Attersee im österreichischen Salzkammergut.
1893 mietet er sich gemeinsam mit seinen Geschwistern und seiner Seelenfreundin, der Musikerin Natalie Bauer-Lechner, im Landgasthaus „Zum Höllengebirge“ ein, das am Ostufer des Sees in Steinbach liegt. Obwohl sich damals kaum Touristen dahin verirren, ist der Ort dem extrem lärmempfindlichen Musiker zu unruhig. Wenige Schritte vom Gasthof entfernt, auf einer Wiese direkt am See, findet er einen ungestörten Platz. Er kommt auf die ungewöhnliche Idee, sich dort zum ungestörten Arbeiten ein winziges Häuschen bauen zu lassen.
Ein heimischer Baumeister errichtet im Frühjahr 1894 das quadratische Häuschen aus Stein und Holz, in dem nur ein eigens aus Wien herbeigeschaffter Stutzflügel Platz findet. Drei Sommer lang wird dies für Mahler zum „Arbeits-Sanctuarium“, zum idealen Aufenthalt, dessen Umgebung er Freunden gegenüber so beschreibt: „Kein Laut in der weiten Runde! Umgeben von Blumen und Vögeln, welche ich nicht höre, sondern nur sehe.“
Unverschämte Forderungen eines neuen Pächters zwingen Mahler zur Aufgabe des von ihm so geliebten Häuschens. Es wird als Waschküche genutzt und droht zu verfallen. Dass man es heute wieder im Originalzustand besichtigen kann, ist der Internationalen Gustav-Mahler-Gesellschaft zu verdanken, die eine Gedenkstätte eingerichtet hat.
Von besonderer Ironie ist die Tatsache, dass der Weg zum Häuschen heute mitten durch einen Campingplatz führt. Dessen Besucher rücken mit ihren Sonnenliegen ungeniert bis an die Tür. Öffnet man diese, taucht man in eine andere Welt ein. Man sieht den Flügel, blickt durch die kleinen Fenster auf den See und hört Mahlers Musik aus dem Lautsprecher.