Jazzfestival: Lauer Abend, warme Herzen
Das 30. Festival des Jazzklubs lockte 700 Zuschauer. Für den Höhepunkt sorgten Michael Wollny und Marius Neset.
Krefeld. Pianist Michael Wollny benannte die Veranstaltung kurzerhand um: „Jazz an einem lauen Herbstabend“ taufte er das Festival „Jazz an einem Sommerabend“. Zum 30. Mal seit 1985 hatte der Jazzklub Krefeld damit die Jazzfans der Region in die Burg Linn gelockt. 700 Besucher kamen, um ein hochkarätiges Programm zu bestaunen.
In der Tat wurde es recht kühl, aber immerhin blieb es trocken. Das Team hatte im Vorfeld auch ganz andere Sorgen. Der Pianist David Virelles hatte zwei Tage zuvor abgesagt, mit dem Schweizer Collin Vallon wurde kurzfristig Ersatz besorgt. Der Pianist erzählte, ihn habe der Anruf aus Krefeld „gestern in Lissabon“ erreicht, er könnte also am meisten gefroren haben.
Herzerwärmend fanden weite Teile des Publikums Vallons Spiel, der vor allem mit Repetition und minimalistischer Variation Konzentration einforderte. Das ewige Kreisen um ein Motiv geriet aber oft zu statisch.
Begonnen hatte den Abend ein Linn-Veteran. Der französische Klarinettist Louis Sclavis war zum vierten Mal hier, diesmal mit seinem Atlas Trio, dem noch E-Gitarrist Gilles Coronado und Benjamin Moussay an Piano, E-Piano und Synthesizer angehören. In manchen Melodiebögen der Klarinetten blitzte durch, wofür Sclavis bekannt geworden ist. Mit seiner imaginären Folklore verschmilzt er Einflüsse verschiedener europäischer Kulturen zu einem Melodiengefunkel. In Linn hatte er Mühe, sich gegen die rockige Gitarre Coronados durchzusetzen.
Dem deutschen Kontrabassisten Robert Landferman hatte der Jazzklub eine Wildcard gegönnt. Er durfte eine Band speziell für Linn zusammenstellen, Stargast des Quintetts war der Amerikaner Jim Black am Schlagzeug. In der Melodieabteilung agierten Christian Weidner am Altsaxofon und Sebastian Gille am Tenor sehr kontrastreich. Während Weidner mit klarem Ton sich im Kontext der meist freien Arrangements fast lyrische Klarheit leistete, presste Gille fast jeden Ton mit vielen Nebengeräuschen aus seinem Tenor heraus. Etwas zu kammermusikalisch reduziert wirkte der Österreicher Elias Stemeseder am Piano.
Landfermann und vor allem Black scheuchten ihre Mitmusiker unablässig durch einen Parcours aus Rhythmus- und Tempowechseln, womit die freie Musik des Quintetts die Eintönigkeit weit hinter sich ließ, die Avantgarde zu oft produziert.
Michael Wollny und der norwegische Saxofonist Marius Neset lockten das Publikum am Schluss endgültig aus der Reserve. Wollny, ein Alleskönner am Piano, nutzte an diesem Abend wie vor ihm kein anderer die Möglichkeiten des Instruments. Gehämmerte Akkorde, verspielte Lyrismen, flirrende Läufe, leichtfüßige Melodien — Wollny ließ mit Drive und emotionaler Dauerspannung die ganze Welt des Klaviers aufscheinen. Neset mit seinem süffigen Ton auf dem Tenor und seinen blitzgescheiten Läufen auf dem Sopran stand dem Erfindungsreichtum Wollnys in nichts nach.