Jungs wecken die Tiger in sich
Von wegen Bewegungsarmut: Auf eigenen Wunsch lernen Neun- bis Elfjährige das Tanzen. Morgen ist Tag der Aufführung.
Krefeld. Joshua (9) schielt noch ein bisschen nach seinem Nebenmann. Das ist Thore. Der Zehnjährige schaut schon cool nach vorne, dahin, wo in wenigen Tagen das Publikum sitzen wird, um ihn, Joshua, Jeremy (11), Felix (10) und Ron (11) tanzen zu sehen. Aus dem Ghettoblaster in der Ecke schallt "We made it", der aktuelle Hit des Rappers Busta Rhymes mit der Band Linkin Park.
Noch ist Zeit zu proben, bevor die jungen Tänzer beim Festival "Move!" ihren großen Auftritt haben. Die Schrittkombination, die sie zum schweren Hip-Hop-Rock-Groove auf die kalten Fliesen des Südbahnhofs zaubern, kann sich schon sehen lassen.
"Spart eure Kraft", hat Choreograph Andreas Simon vorher verlangt. Ihm kommt es an diesem Nachmittag vor allem darauf an, dass die fünf Jungen den Ablauf ihrer Performance "Topos Tiger" verinnerlichen. Aber dann legen sie sich bei ihrem Breakdance schon so sehr ins Zeug, dass der 44-Jährige sie am Ende fragen muss: "Und wer bitte hat jetzt seine Kräfte gespart?"
Seit zwei Jahren arbeitet der Tänzer mit den Fünf in einem Werkhaus-Kurs zusammen. Diese Gruppe ist - kaum zu glauben - auf Eigeninitiative zustande gekommen. Ron und Felix, die in Simons Nachbarschaft in der Innenstadt wohnen, fragten ihn eines Tages, ob er ihnen Tanzen beibringen würde. "Na gut", war die Antwort. "Wenn ihr noch mindestens drei andere mitbringt." Die hatten Ron und Felix schnell aufgetrieben.
Kapuzenjacken, Jeans, Turnschuhe: Die Jungs mögen das Outfit von Streetkids, und ihre tänzerische Vorliebe ist wohl nicht das Ballett. "Rosa und Tutus wollten die einfach nicht", fasst Andreas Simon zusammen. Aber tanzen wollten sie schon. In das Klischee der bewegungsarmen Kinder, denen verzweifelte Sportlehrer selbst das Rückwärtsgehen noch beibringen müssen, passen die Jungen jedenfalls nicht.
"Was müssen wir alles präparieren?", fragt Simon in die Runde. Gleich soll ein kompletter Durchlauf starten. Aufgeregt plappern die Fünf durcheinander. "Was heißt denn präparieren?" "Mein Skateboard muss da hinten in die Ecke." "Und wo kommen die Stöcke für die Stockkampfszene hin?" Erst nach einer Weile kann es losgehen.
Am Anfang der 45-minütigen Performance steht die Szene "Der Fall." Dazu verschwinden die jungen Tänzer durch die kleine Dachluke, die vom Gleisaufgang des Bahnhofs übrig geblieben ist. Simon gibt letzte Anweisungen, dann schließen die Jungen die Klappe. Der Choreograph hastet zum Ghettoblaster, schaltet ihn ein.
Zu geräuschhafter Musik öffnet sich die Luke, und Thore "fällt" den knappen Meter bis zur Treppe hinunter, landet auf seinen Füßen, rollt sich ab. Schon tropft Jeremy aus dem Loch, springt Thore hinterher. Die anderen drei folgen. Dieser akrobatische Auftritt wird ein spektakulärer Anfang für die Show - das steht schon mal fest. Alles andere wird sich zeigen.