Mies van der Rohe Film: Das untergegangene Krefeld
Ein Buch und ein Film zeigen, wie einflussreiche Fabrikanten Mies in die Provinz holten.
Krefeld. Der Verein Projekt MIK — Mies in Krefeld kann sich auf seine Vorsitzende Christiane Lange verlassen. Sein Vorhaben: das „hochkarätige Kulturgut“, das die Bauten des Stararchitekten Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) in Krefeld darstellen, „für die Zukunft nutzbar zu machen“. Dies wird von der Kunsthistorikerin Lange tatkräftig flankiert.
Sie hat das Buch „Ludwig Mies van der Rohe, Architektur für die Seidenindustrie“ herausgebracht und zusammen mit dem Fernsehjournalisten Helge Drafz den Film „Ludwig Mies van der Rohe in Krefeld“ auf DVD vorgelegt.
Der Beginn des Films ist ein wenig märchenhaft. Lange läuft über den Egelsberg und lässt den Blick schweifen — „auf der Suche nach der Moderne am Rhein“, verkündet der Sprecher. Schon holt sie einen Plan hervor, keine Schatzkarte, sondern einen Grundriss des Golfplatzes, der sich einst auf dem Egelsberg befand. Dafür hatte Mies um 1930 ein Klubhaus entworfen, das nie gebaut wurde.
Die Moderne und ihr herausragender Architekt sind dennoch hier gelandet. Das Haus Lange, von Langes Urgroßvater Hermann in Auftrag gegeben, das Haus Esters sowie das Verseidag-Gebäude an der Girmesgath wurden gebaut. Mithin stehen in Krefeld mehr Mies-Bauten an einem Ort als irgendwo sonst in Europa.
Buch und Film erläutern alle Aufträge, die aus dem Umfeld Hermann Langes kamen. Er war Gründer der Verseidag und saß im Vorstand des Vereins deutscher Seidenwebereien. Mies wurde mit dem Bau von Repräsentationsständen für Ausstellungen der Seidenindustrie in Berlin und Barcelona betraut, hat die Wohnung eines Schwiegersohns Langes in Berlin eingerichtet.
Nicht gebaut wurden neben dem Golfklub ein Wohnhaus für den Lange-Sohn Ulrich und ein Verwaltungsgebäude für die Verseidag. Fast zehn Jahre lang wurde Mies mit Aufträgen aus Krefeld versorgt. Eine ungewöhnlich lange Beziehung, die mit der Emigration des Architekten in die USA im Jahr 1938 endete.
Krefeld sei „auch damals Provinz“ gewesen, stellt Christiane Lange im Film fest und wundert sich, dass ein Architekt von solcher Qualität hier so häufig gewirkt hat. Buch und Film machen klar: Es lag an den kunstsinnigen, weltoffenen Seidenfabrikanten. Die wollten Mies haben, und sie scherten sich nicht darum, ob sie in Krefeld damit aneckten.
Den Grund bringt Julian Heynen, langjähriger stellvertretender Leiter der Krefelder Kunstmuseen, im Film auf den Punkt: Sie haben es sich leisten können. Die Wohnhäuser auf der Wilhelmshofallee wurden für „das Leben in bürgerlichem Luxus“ gebaut, sagt Mies-Experte Wolf Tegethoff. Reinhard Esters, Sohn des Bauherrn Josef Esters, sieht auch die Kehrseite: „Es müssen doch sehr große soziale Unterschiede gewesen sein, die es meinem Vater ermöglicht haben, so etwas zu bauen.“
Ein Höhepunkt des Films sind die dreidimensionalen Animationen der nicht realisierten Bauprojekte von Mies, Fotos davon finden sich auch im Buch.
Und ein Märchen wird auch erzählt. Es handelt von einer untergegangenen Welt, in der es in Krefeld ein Großbürgertum gab, das sich nicht nur moderne Häuser leistete, sondern auch sonst die Moderne nach Krefeld bringen wollte. Das sich kulturpolitisch engagierte, die künstlerische Avantgarde ins Kaiser-Wilhelm-Museum holte.
Man liest, sieht und staunt, wie es in Krefeld zugegangen ist. Dann kamen die Nazis, und das Märchen war erst einmal zu Ende. Ludwig Mies van der Rohe aber baute auf der Basis seiner „Krefelder Zeit“ in den USA eine Weltkarriere auf.