Tanz: Schatten verschmelzen und entzweien sich
Mit „eins“ von Irina Lorez ging die Reihe „Suisse en suite“ am Samstag zu Ende.
Krefeld. "Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?" Das kann Autor Richard David Precht noch im 21. Jahrhundert bestsellerträchtig fragen, obwohl Nietzsche schon im 19. Jahrhundert wusste, dass das Ego "eine Mehrheit von personenartigen Kräften" ist. Manche Themen beschäftigen die Menschen eben lange oder immer wieder neu. Die Luzerner Choreographin und Tänzerin Irina Lorez thematisierte in der Fabrik Heeder mit ihrem Duo "eins" die Suche nach Ich-Identität und Verschmelzung und beendete damit die Reihe "Suisse en suite".
Also philosophisch-psychologisches Tanztheater? Wenn man so will, ja. Das tut der Spannung aber keinen Abbruch. Denn tänzerisch ist es höchst attraktiv, was Irina Lorez und Fa-Hsuan Chen zu bieten haben. Ein elektronischer Live-Soundtrack - am rechten Bühnenrand von Domenico Ferrari produziert - und die geschickte Einbeziehung von Video-Projektionen sorgen zudem für eine zeitlose Modernität.
Im Einheitslook - graue Kapuzenjacken und Hosen - agieren Lorez und Chen zunächst rechts und links auf der durch eine aufgehängte Projektionsfläche geteilten Bühne. Etwas zeitversetzt spiegeln sich die Aktionen der Tänzerinnen. Diese und andere Formen der Verdoppelung beherrschen das Spiel bis fast zum Schluss. Die Schatten der Tänzerinnen treffen aufeinander, treten in Kommunikation, die Tänzerinnen und ihre Abbilder in der Videoprojektion sind gleichzeitig sichtbar. Der Effekt von all dem: Die Grenzen der Individuen auf der Bühne verschwimmen, der Zuschauer fragt sich, mit wie vielen Wesen er es zu tun hat.
Das Ende von "eins" ist dann doch eine Entzweiung. Im schwindenden Bühnenlicht winden sich die Tänzerinnen verzweifelt. Dabei bleibt offen, ob sie darunter leiden, mit sich selbst oder dem anderen nicht zu einer Einheit verschmolzen zu sein. Lang anhaltender Applaus für eine tänzerisch spannende Performance, der man inhaltlich - gerüstet mit Nietzsche - gelassen begegnen konnte.