Tanzsolo: Meisterwerk bis hinein in die kleinste Geste
Mit Rodolpho Leonis „Aus Só“ erlebt das Festival „Move!“ seinen ersten Höhepunkt. Atemlos bleiben die Zuschauer zurück.
Krefeld. Drei noch eher normale Schritte aus dem Dunkel auf den Tanzteppich, eine leichte Drehung, ein erster Klavierton erklingt. Aus dem Nichts springt die aus Taiwan stammende I-Fen Lin in den Tanz, in das Solo "Aus Só", das ihr langjähriger Choreograf Rodolpho Leoni kreiert hat.
Und was ist das für ein Solo. In seiner Reduktion auf das Wesentliche und seiner Beredtheit, seiner Kargheit und tanzsprachlichen Fülle, in seiner Schlichtheit und gleichzeitig seinem Reichtum, letztlich in seinem Mut ist es von beiden ein Meisterwerk. Und für das Festival "Move!" in der Fabrik Heeder ein erster Höhepunkt.
Oft schon hat man Stücke von Leoni hier gesehen. Der gebürtige Brasilianer begann mit verspielten, leichtfüßigen Choreografien, im Lauf der Zeit wurde seine Tanzsprache immer abstrakter. So konsequent aber wie für dieses Solo ist er wohl noch nie auf dem schmalen Grat zwischen natürlicher Bewegung und künstlerischer Formgebung gewandelt.
Die Bühne ist leer. I-Fen Lin trägt ein langärmeliges weißes Shirt und eine schwarze Hose. Die Musik, Klavierwerke und solche für Streichensemble von Ligeti, Debussy und Terry Riley, ist kammermusikalisch, und das passt ganz gut zu den zunächst skizzenhaft wirkenden Raumerkundungen der Tänzerin.
Alle Bewegungen, auch jeder Schwung einer Extremität, dem der Körper hinterherfolgt, erscheinen ganz ungekünstelt, natürlich. Erst in ihrer durchkomponierten Abfolge summieren sich die Bewegungen zur künstlerischen Form, die damit durchlässig bleibt für das Menschliche.
Ein Drehen der Zeigefinger, ein Zucken der Schulter, noch die kleinste Geste nutzt Leoni, und er hat auch den Mut zur Pause. Minutenlang lässt er I-Fen Lin einmal im Dunkeln verharren, während noch Musik läuft.
Das Finale dieses Solos ist dann so unerwartet wie grandios. Mit seiner vollen orchestralen Wucht erklingt Ravels "La Valse", und aller Tanz vorher erscheint auf einmal wie ein Anlauf zu diesem furiosen Schluss. Wie ein Irrwisch wirbelt I-Fen Lin jetzt über die Bühne. Atemlos lässt sie die Zuschauer zurück.