Was tun, wenn das eigene Kind stirbt?

Das Stück „Aus der Zeit fallen“ basiert auf den persönlichen Erfahrungen des Autors, David Grossmann. Er wird selbst im Publikum sitzen.

Foto: Matthias Stutte

Irritierend, aber auch einladend ist die Bestuhlung bei dem Stück „Aus der Zeit fallen“. Die Theaterbesucher sitzen nicht auf den üblichen Stuhlreihen in der Fabrik Heeder. Diese wurden von den Rängen der Studiobühne I entfernt. Stattdessen gibt es eine bunte Mischung von 92 verschiedenen Stühlen, die auch um den Bühnenraum angeordnet sind.

Dort bildet ein großer Tisch den Mittelpunkt des Geschehens. „Diesen Stuhlfundus haben wir aus ,Kabale und Liebe’“, klärt Dramaturg Martin Vöhringer vom Theater Krefeld auf. „So erreichen wir die gewünschte Intimität.“ Das Publikum wird so in eine sehr persönliche wie emotionale Szene einbezogen: Man nimmt an einem Trauerritual statt. Es ist „Schiv’a“, nach der jüdischen Tradition die sieben Tage nach der Beerdigung eines Toten. Trauergäste kommen in dieser Woche in das Haus von Familienangehörigen des/der Verstorbenen, um Anteilnahme zu zeigen, aber auch Gemeinschaft zu pflegen. „Dabei wird nicht nur getrauert, sondern auch gelacht“, sagt die Regisseurin Dedi Baron.

Von Anfang an war es für sie klar, dass die Umsetzung des Buchs von David Grossman ein Stück über das Leben und nicht über den Tod werden sollte. Es ist eine sehr persönliche Begebenheit, die der israelische Schriftsteller in seinem Buch „Aus der Zeit fallen“ schildert. Er schrieb es einige Jahre nach dem Tod seines Sohns im Libanonkrieg. Für die israelische Regisseurin geht es in ihrer Bearbeitung des Buchs für die Bühne weniger um die politischen Aspekte. „Es ist zwar auch politisch, aber vor allem menschlich universell.“

Die Frage, wie man nach einem solchen Ereignis, dem Schmerz nach dem Verlust eines Kindes weiter leben kann, ist für sie wesentlicher. Zwei Ehepaare, die ein Kind verloren haben, und der Buchautor selbst werden von den Schauspielern dargestellt (Vera Maria Schmidt, Eva Spott, Felix Banholzer, Joachim Henschke und Bruno Winzen).

Die literarische Vorlage legt es nahe, ein Theaterstück daraus zu machen. „Es ist quasi in Rollen-Prosa geschrieben, alles in wörtlicher Rede. Ein Requiem, das auf die Bühne drängt“, so Vöhringer. Doch es gleich in dieser Form als Regiebuch zu nutzen, entspricht nicht der typischen Arbeitsweise von Baron. Natürlich hat sie eine Vorstellung, eine Vision und plant die Szenen. Aber sie lässt gerne auch den Schauspielern Raum, ihre Rollen in „teilender Verantwortung“ zu entwickeln.

Für das Bühnenbild dieser Produktion ist Gabriele Trinczek, für die Kostüme Kirsten Dephoff verantwortlich. Mit etwas gemischten Gefühlen sieht die Regisseurin der Premiere am Donnerstag entgegen. Denn Grossman wird ebenfalls anwesend sein. Er spricht zwar kein Deutsch, aber auch ohne die Sprachkenntnisse wird er die Nuancen des Stücks verstehen und die Umsetzung seiner sehr persönlichen Erfahrungen beurteilen können.

Es dürfte ein interessanter Austausch zwischen ihm und der Regisseurin bei dem Podiumsgespräch am Tag nach der Premiere in der Mediothek (siehe Kasten) werden.

Baron wird zu den bedeutendsten Theaterregisseurinnen Israels gezählt, ist Dozentin für Regie an der Fakultät für Theater der Universität Tel Aviv und hat mehrfach in Deutschland inszeniert.