Flüchtlingspolitik Lammert will alle 28 Länder Europas in die Pflicht nehmen

Bundestagspräsident diskutiert vor und mit 500 Zuhörern in der Friedenskirche über Flüchtlingspolitik.

Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Norbert Lammert kommt pünktlich. Um 19.04 Uhr beginnt er seinen auf 20 Minuten angekündigten Vortrag und schließt ihn um 19.24 Uhr. Die rund 500 Zuhörer im Schiff der Friedenskirche sind ihm dankbar, weil er anschließend für eine mehr als anderthalbstündige Diskussion zur Verfügung steht. Fragen gibt es genug: Der Bundestagspräsident und damit der zweithöchste Repräsentant der Bundesrepublik spricht im Rahmen der Vortragsreihe „Standpunkt“ über Deutschland und die aktuelle Situation in Europa.

Der promovierte Sozialwissenschaftler aus Bochum skizziert die historische Entwicklung Deutschlands und Europas. Er erinnert an zwei wichtige Jahrestage, die in diesem Jahr begangen wurden. 70 Jahre Kriegsende und 25 Jahre Wiedervereinigung. Beide gravierende Ereignisse hätten zu einer beispiellosen Phase des Friedens und der Demokratie in Deutschland und Europa geführt. Nicht zufällig weist der CDU-Politiker darauf hin, dass viele Deutsche den Zweiten Weltkrieg und die Nazi-Barbarei nur überlebt haben, „weil sie anderswo Zuflucht und Aufnahme gefunden haben“.

Die reservierte Haltung des größten Teils der 28 Länder der Europäischen Union (EU) gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingen nennt Lammert in der Diskussion „enttäuschend“. Er verweist jedoch darauf, dass die EU keine politische Einheit sei und auch Deutschland auf seine Souveränität in politischen Fragen poche. Notwendig sei jetzt ein Prozess der Überzeugung, an dessen Ende klar ist, dass das Problem der Flüchtlinge eine Gemeinschaftsaufgabe Europas sei.

Nicht festlegen will sich der Honorarprofessor darauf, ob es in Deutschland eine Aufnahmegrenze für Flüchtlinge geben solle. Lammert: „Die Frage ist, was können wir und was wollen wir.“ Sollten in diesem Jahr 1,5 Millionen Asylsuchende nach Europa kommen, „dann müssen sich alle EU-Mitgliedsstaaten nach ihren Möglichkeiten an deren Aufnahme beteiligen“.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Verschärfung des Asylrechts und der Rückführung von geduldeten Menschen oder Flüchtlingen aus „sicheren Herkunftsländern“ wird in der Friedenskirche auch der Fall Adnan Harb indirekt angesprochen, der im Mai von seiner Familie getrennt und in die Türkei abgeschoben wurde. Solche „Altfälle“ müssten gesondert gesehen und behandelt werden, stellt Lammert fest, der aber unterstreicht: „Wenn wir den Menschen helfen wollen, die vor Krieg und Terror fliehen, müssen wir jene zurückschicken, deren Fluchtgründe anders gelagert sind.“

Pfarrer Michael Windhövel kann am Freitag auch mit der ökonomischen Seite der Veranstaltung zufrieden sein. An die 4000 Euro fließen aus den Eintrittsgeldern in die Kasse. Gesammelt wird, um den Turm der Friedenskirche zu renovieren.