Ringen: Ein Gefühl der Hilflosigkeit
Kristina Lappe trifft Aline Focken: Von Achselwürfen, Beinangriffen und Bodentechniken.
<strong>Krefeld. Es ist kurz nach 19 Uhr. Fasziniert beobachte ich, wie sich zwei Dutzend Kinder auf der Matte vor mir gegenseitig aufs Knie legen. Immer im Zweierpärchen - Hände auf die Schultern, Druck ausüben, Achselwurf. Ganz einfach, denke ich und greife mir in die Magengegend, wo sich langsam aber sicher ein flaues Gefühl breit macht.
Das Jugendtraining ist noch nicht vorbei, da kommt Aline Focken fröhlichen Schrittes auf mich zu. Ich ahne Schlimmes. "Los geht’s, ich erklär dir kurz die Grundlagen und dann können wir auf die Matte." Tapfer schenke ich Aline ein Lächeln - wird schon nicht so schwer sein. Was die Kleinen können, kann ich schon lange, rede ich beruhigend auf mich und meinen Magen ein.
Ich hasse Achterbahn fahren, doch zum Weglaufen ist es jetzt zu spät. Aline steckt voller Tatendrang, so scheint sie doch ernsthaft zu glauben, mir - etwas ungelenkig und koordinationsunfähig - in wenigen Minuten das Ringen beizubringen. Aber eine Chance will ich ihr geben. Aline legt los. "Also. Es gibt verschiedene Stand- und Bodentechniken. Beinangriff, Drehschwung und Achselwurf sind die häufigsten."
Udo Fonger ist erster Vorsitzender des KSV Germania Krefeld
Beinangriff, Achselwurf - was tue ich hier bloß? "Der Gegner hat verloren, wenn du ihn mehrere Sekunden mit beiden Schultern auf den Boden drückst. Wenn es nicht dazu kommt, dauert der Kampf drei mal zwei Minuten und dann gewinnt, wie im Boxen, der mit den meisten Punkten", erklärt Aline, die in ihrer jungen Ringerkarriere regelmäßig oben liegt. Wie gleich gegen mich auch, dafür muss man kein Prophet sein. In Gedanken sehe ich mich schon im nächsten Krankenwagen liegen. "Wichtig ist, dass deine Bewegungen dynamisch kommen", sagt Aline weiter.
Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Aline ruft ihre Trainingspartnerin herbei und will mir einen einfachen Achselwurf demonstrieren. Eigentlich sieht das gar nicht so schwierig aus. Mutig, wie ich bin, gehe ich auf Aline zu und fasse sie an den Schultern. "Und jetzt?"
Im gleichen Augenblick habe ich vergessen, was ich machen muss. Es kommt mir vor, als gehören Beine und Arme gar nicht zu meinem Körper. Ich fühle mich vollkommen hilflos. Aline zögert nicht lange. Sie fasst mich an den Schultern und im nächsten Moment fliege ich schon durch die Luft.
Ich höre noch, dass ich beim Abrollen den Kopf einziehen soll. Zu spät, meine Landung auf der Matte hatte bestimmt guten Unterhaltungswert. Und zumindest weiß ich jetzt ungefähr, was ich machen soll. Und tatsächlich, der zweite Kontakt mit der Matte fällt um einiges sanfter aus. Den Achselwurf bei Aline zu machen, traue ich mich dagegen nicht. "Dir fehlt die Körperspannung", konstatiert meine 16-jährige Lehrerin, "das ist die wichtigste Voraussetzung, um sich nicht zu verletzen." Als nächstes schlägt sie den Beinangriff vor. Die Übung gefällt mir schon besser. Nur der intensive Körperkontakt war mir noch etwas unangenehm. "Da gewöhnt man sich ganz schnell dran", sagt Aline.
Ich bin jedenfalls froh, dass es für heute geschafft ist. Mein Magen hat inzwischen aufgehört Achterbahn zu fahren. Eigentlich war ja auch alles gar nicht so schlimm. Und der Beinangriff hat am Ende sogar richtig Spaß gemacht.
Beim Grossen Preis von Deutschland holte sich Aline Focken (16), eines der größten Ringer-Talente in Nordrhein Westfalen, die Silbermedaille in ihrer Altersklasse. Mit den Ringernationen China und Russland kam die absolute Weltspitze zu Besuch nach Dormagen. 350 Mädchen waren insgesamt am Start. Nach einer beeindruckenden Vorrundenbilanz musste sich Aline erst im Finale gegen eine starke Gegnerin aus Russland geschlagen geben. Größter Traum der Krefelderin, Deutsche Meisterin in ihrer Jugendklasse und Mitglied der Nationalmannschaft: Die Olympischen Sommerspiele 2012 in London.
Der KSV Germania Krefeld von 1891 ist der einzige Verein in Krefeld, der die Sportart Ringen anbietet. Derzeitige Mitgliederzahl: 200
1. Vorsitzender ist Udo Fonger
2. Vorsitzender Maic Tevort,
Geschäftsführer Hans J. Frank Die 1. Mannschaft ringt in der Oberliga und trägt ihre Heimkämpfe auf dem Gelände der Albert Schweitzer Schule (Deutscher Ring/Lüderstraße) aus. Die "Zweite" kämpft in der Landesliga um Punkte.